10 Dinge, die Sie über Tosca wissen sollten

10 Dinge, die Sie über Tosca wissen sollten

Die erste Premiere der neuen Spielzeit 2021/22 steht ganz im Zeichen von Liebe, Hass und Eifersucht: Giacomo Puccinis Opernthriller Tosca. Auch wenn das Werk zu einem der am häufigsten gespielten zählt, so gibt es doch das ein oder andere Detail, das vielleicht noch nicht jeder Zuschauerin oder jedem Zuschauer bekannt ist. Tauchen Sie also bereits vor dem Opernbesuch ein in die Welt von Floria Tosca und erfahren Sie 10 Dinge, die man über Tosca wissen sollte!

1) Wer ist eigentlich Alberto ?

Alberto Franchetti © public domain

Nachdem Giacomo Puccini das Schauspiel La Tosca von Victorien Sardou gesehen hatte, hatte er sich an seinen Verleger Giulio Ricordi gewandt und ihn darum gebeten, die Rechte für eine Opernadaption zu erwerben. Doch Sardou lehnte dies konsequent ab, da er den noch immer bestehenden Erfolg des Schauspielstückes nicht trüben wollte. Einige Jahre später bekundete der junge Komponist Alberto Franchetti (1860-1942) Interesse an diesem Textbuch und diesmal erhielt Ricordis Anfrage bei dem französischen Autor eine wohlwollende Antwort. Franchetti, ein Bewunderer Richard Wagners (er war Vorsitzender der Wagner-Gesellschaft Bologna), war zwei Jahre jünger als Puccini und Teil der Musikergruppe „Das junge Italien“. Er hatte sich mit seinen ersten Opern bereits einigen Ruhm verschafft, sodass die Stadt Genua ihn damit beauftragt hatte, anlässlich ihrer Vierhundertjahrfeier ein Stück über den berühmten Sohn der Stadt, Christoph Columbus, zu komponieren. Er war also keineswegs ein unbekannter Mann. Im Laufe seines Lebens sollte er gar 15 Opern schreiben, von denen man jedoch heute eigentlich keine mehr kennt. Das neue Sujet interessierte ihn sehr, und für die Umarbeitung des Schauspiels zum Libretto konnte der renommierte Luigi Illica gewonnen werden. Sie fuhren gemeinsam nach Paris, um dort Sardou zu treffen und die bereits getätigten Arbeiten mit ihm zu besprechen. Während er sich damit beschäftigte, besuchte jedoch Puccini zum zweiten Mal eine Vorstellung von La Tosca, diesmal mit Sarah Bernhardt höchstpersönlich in der Hauptrolle. Auch hatte er bereits davon gehört, dass der jüngere Kollege mittlerweile an der Umsetzung seiner ursprünglichen Idee saß. Als der leidenschaftliche Mann, der er war, wurde Puccini erneut von der Muse geküsst und beschloss, das Projekt wiederaufzunehmen. Er bedrängte Ricordi, ihm den Stoff doch wieder zuzuteilen – was diesem durchaus gelegen kam, da er Puccini für den begabteren Komponisten hielt. So war er nicht abgeneigt, als Illica schließlich mit größtem Fingerspitzengefühl Franchetti zu überzeugen versuchte, dass dieser Stoff doch nicht der richtige für ihn sei. Am Ende nahm dieser schriftlich Abstand von dem prestigeträchtigen Projekt.

2) Der 14. Juni 1800



General Michael von Melas
© public domain

Es gibt nur ganz wenige Stücke, die an einem ganz konkreten, unverrückbaren Datum stattfinden. Tosca ist ein solches Werk, denn darin ist von historischen Ereignissen die Rede, die sich nicht verschieben lassen. Im ersten Akt erfahren wir vom Mesner, dass Napoleon Bonaparte vertrieben worden sei, was die reaktionären Anhänger*innen des Habsburgischen Reiches (zu dem auch Teile Italiens gehörten) mit Begeisterung feiern. Dieser Jubel hält jedoch nur kurz, denn bereits im zweiten Akt (der am Abend des gleichen Tages stattfindet) bringt der Polizeiagent Sciarrone die Nachricht, dass die Österreicher bei dem kleinen italienischen Dorf Marengo eine Niederlage erlitten haben, die den Sieg Napoleons bedeutete und den österreichischen General Michael von Melas zur Flucht gezwungen hatte. Dies ereignete sich am 14. Juni 1800, aber natürlich dauerte es einige Tage, bis die Neuigkeit in den Süden nach Rom vordringen konnte. Im Schauspiel von Sardou schreibt Melas gar persönlich an die Königin Carolina. Die Handlung in der Oper Tosca spielt also am 17. Juni 1800.

Fun Fact: Nach der Schlacht von Marengo mussten die französischen Soldaten natürlich auch etwas essen. Da ihr Verpflegungstross verlorengegangen war, musste der Küchenchef Dunant improvisieren und schickte Soldaten los, um etwas Essbares herbeizuschaffen. Die Ausbeute war nicht schlecht, aber ziemlich bunt: ein Huhn, einige Tomaten, ein paar Eier und zwei Krebse. Der Küchenchef kreierte daraus sein Gericht „Huhn Marengo“. Wer dieses nachkochen möchte, muss es einfach nur googeln! (A.d.A.: Diese Information stammt aus Wikipedia, die Autorin kann deren Wahrheitsanspruch also nicht garantieren.) https://www.pwinsider.com/article/149655/making-a-broadcasting-career-in-australian-casinos.html

3) Ein unüberwindbarer Graben

Victorien Sardou © public domain

Nachdem Victorien Sardou grünes Licht dafür gegeben hatte, dass sein Drama La Tosca zum Opernlibretto umgearbeitet werden dürfe, verlor er natürlich keineswegs das Interesse an diesem Projekt. Ihm gefiel zwar das meiste, was Illica und Giacosa mit seinem Text veranstalteten, aber in so manchen Punkten war ihm seine eigene Konzeption dann doch wichtiger. Einer dieser Streitpunkte betraf das Ende des Stücks: Sardou schlug vor, die Oper so tragisch wie möglich enden zu lassen, und sah dies mit einem Sprung Toscas in den Tiber als am geeignetsten umgesetzt. Die beiden Librettisten waren darüber relativ entgeistert, und auch Puccini war „not amused“, wie er in einem Brief am 13. Januar 1899 (einem Freitag!) an seinen Verleger Giulio Ricordi schrieb: „[H]eute morgen war ich auf eine Stunde bei Sardou, und er hat mir wegen des Finales Dinge gesagt, die nicht angehen. Er will diese arme Frau unbedingt sterben lassen, koste es, was es wolle! […] Aber ich werde mich bestimmt nicht nach ihm richten.“ Puccini und seine beiden Autoren hatten es vielmehr geplant, Tosca am Schluss dem Wahnsinn verfallen zu lassen. Dagegen hatte Sardou zwar nichts einzuwenden, „[…] aber er möchte, dass sie [A.d.A.: Tosca] ganz verschwindet, dass sie verlöscht wie ein kleiner Vogel.“ So berichtet Puccini im gleichen Brief an Ricordi. Und seine Aufregung über den starrköpfigen Franzosen geht noch weiter: „Beim Skizzieren des Hintergrundes wollte Sardou, dass man den Tevere [A.d.A.: den Tiber] zwischen S. Pietro und dem Kastell [A.d.A.: der Engelsburg] hindurchfließen sieht!!! Ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass der Fluss auf der anderen Seite fließt, unterhalb. Und er, ruhig wie ein Fisch, erwiderte: Ach, das macht gar nichts! Eine schöne Type voller Leben und Feuer, voller historisch-topographisch-geographischer Ungenauigkeiten!“ Sardou ließ sich auch mit Fakten nicht überzeugen; er selbst zog sogar eine Karte zu Hilfe, um seine Vorstellungen zu illustrieren, übersah dabei aber den 20 Meter breiten Landstreifen zwischen Festung und Fluss. Am Ende setzte er seinen Willen durch und Puccini musste sich wohl oder übel doch nach seinem Wunsch richten – auch wenn er Ricordi gegenüber noch geäußert hatte, dies auf keinen Fall zu tun. Auch ein großer Komponist muss einmal klein beigeben!

4) Süßer die Glocken nie klingen

Einige der Glocken in Tosca © Laura Knoll

Puccini verwendete bei dem Kompositionsprozess von Tosca viel Zeit für Recherchen. Da die Handlungsorte ja sehr konkret sind – die Kirche Sant’ Andrea della Valle, das Palazzo Farnese und die Engelsburg in Rom – sah er sich dazu verpflichtet, auch das musikalische Umfeld dieser Orte zu berücksichtigen. So interessierte er sich für die Stimmung der Kirchenglocken von St. Peter, wie er in einem Gespräch mit Arthur M. Abell berichtete: „Ich wollte unbedingt wissen, wie die Kirchenglocken wirklich klingen, reiste deshalb nach Rom und saß mehrere Tage lang auf den Stufen des Brunnens vor dem St.-Peters-Dom, um den Glocken zuzuhören. Die große ist auf E gestimmt. Ich hatte Notenpapier bei mir und zeichnete den Klang der Glocken nach, den man in der Oper hört.“ Doch auch im Vorspiel des dritten Akts spielen die Glocken nochmals eine wichtige Rolle. Wenn langsam die Nacht dem frühen Tage weicht und der junge Hirte sein einsames Lied singt, sind im Hintergrund sowohl das Herdengebimmel also auch die elf um die Engelsburg befindlichen Kirchenglocken zu hören. So erschafft Puccini eine einzigartige Klangkulisse und lässt sein Publikum wirklich in die ewige Stadt reisen. Die Dortmunder Philharmoniker sind erfreulicherweise in der Lage, diese wichtigen Stellen nicht mit Einspielern oder Behelfsinstrumenten bestreiten zu müssen, denn seit einigen Jahren gehören 13 gusseiserne Kirchenglocken zum Bestand des Orchesters. Im Falle der Tosca werden sie rundum des Bühnenraumes aufgestellt, um im richtigen Moment das Kirchengeläut Roms eindrucksvoll nachzubilden – Gänsehaut garantiert!

5) Fast siegte die Kunst über die Liebe

Giacomo Puccini © public domain

Es war Puccini in seinen Werken ein besonderes Anliegen, dass der dramatische Fluss nie gestört werde und die Handlung mit größtmöglicher Spannung vonstattengehe. Aus diesem Grund stand er nicht nur bei der Tosca immer mal wieder im Konflikt mit seinen musikalischen und dramaturgischen Absichten. Arien sind seit langer Zeit das Herzstück einer jeden Oper; die Handlung bleibt für einen Augenblick stehen und der*die Sänger*in offenbart auf möglichst kunstvolle und virtuose Weise sein*ihr emotionales Innenleben. Doch gerade bei einem Stück wie Tosca, das als veristische Oper möglichst nah an der Realität bleiben soll, ist dieses Thema heikel. Puccini machte sich bei Tosca explizit darüber Sorgen, dass die Arie ‚Vissi dʼ arte‘ im zweiten Akt eher als Bremse des Handlungsflusses gesehen werden und zum Abfall der Spannung als zu deren Steigerung führen könnte. Und diese Problematik ist durchaus nachvollziehbar; so fragte Arthur M. Abell den Komponisten in einem Gespräch: „Maestro […] manches in Tosca ist mir nicht klar, besonders die mangelnde Übereinstimmung zwischen der Musik und dem Text. Sie scheinen miteinander zu streiten. In der Arie Toscas ‚Vissi dʼ arte‘ im 2. Akt fehlt zum Beispiel jede Übereinstimmung mit der Situation und den Umständen. Wie kann sie in einem Erguss von lyrischer Schönheit schwelgen, wo sie doch weiß, dass der wollüstige Scarpia voller Ungeduld wartet, um sie zu schänden?“ Puccini, der sich nach langen Überlegungen dazu entschlossen hatte, die Arie im Stück zu behalten, äußerte sich dazu ganz entspannt. Er bestätigt zwar, dass die Arie keineswegs die aktuelle Stimmung wiederspiegelt und aus der Handlung heraustritt, auf diese Weise aber eine besondere psychologische Reaktion hervorruft: „[S]olche falschen dramatischen Situationen üben eine sonderbare Anziehungskraft auf mich aus.“ Und so kam es, dass die Arie „Vissi dʼ arte“ bis heute eines der bekanntesten Bravourstücke für unzählige Sopranistinnen ist, auch wenn sie nicht Toscas wahre Gefühle abbildet, sondern vielmehr eine melancholische Betrachtung der Kunst und der Liebe ist.

6) Eine gefährliche Partie

Sarah Bernhardt als Tosca © public domain

Manche Rollen werden von einer ganz besonderen Aura umgeben, die sich durch die gesamte Aufführungsgeschichte zieht. Die Figur der Floria Tosca gehört definitiv dazu, was bereits die Titelheldin der Uraufführung, Sarah Bernhardt, schmerzlich erfahren musste. Auch wenn ihr die Rolle von Victorien Sardou auf den Leib geschrieben wurde, so wurde ausgerechnet dieser nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen. Sie spielte die Partie über viele Jahre auf der ganzen Welt, doch in der Inszenierung, die 1905 in Rio de Janeiro stattfand, musste sie von einer Mauer springen. Dabei verletzte sie sich jedoch so schwer am Knie, dass sie für die nächsten 10 Jahre von so starken Schmerzen geplagt wurde, dass ihr schließlich das rechte Bein unterhalb der Hüfte amputiert werden musste. Davon ließ sich die Vollblutschauspielerin jedoch nicht abhalten und spielte ihre Paraderolle (und viele andere mehr) auch noch mit Beinprothese! Doch nicht nur Sarah Bernhardt opferte viel für die Tosca; auch so manche Sängerin nach ihr wurde von dieser speziellen Partie an ihre Grenzen gebracht. Im besten Fall sorgen sie mit ihrem Sprung – lediglich, aber szenisch vollkommen unpassend – für einen herzhaften Lacher: Beliebt ist die Anekdote, in der eine Tosca vom Dach der Engelsburg auf ein Trampolin springen musste, und von diesem mit solcher Wucht zurückgeschleudert wurde, dass sie noch mehrere Male über den Zinnen der Festung auftauchte. Weniger lustig ist es, wenn der Sprung tatsächlich zu Verletzungen führt, was selbst an der Wiener Staatsoper (zuletzt 2015) geschehen kann. Die Geschichte, dass man in einer Aufführung einmal fälschlicherweise Tosca statt Cavaradossi erschossen hat, gehört wohl eher in den Bereich der Legenden, nichtsdestotrotz kann man sich vorstellen, wie es geschehen ist. Tosca ist einfach ein nervenaufreibendes Stück! In unserer Inszenierung gehen wir aber sehr gewissenhaft auf Nummer sicher, dass unserer Titelheldin nichts passieren kann.

7) Lust oder Delirium?


Hugues Merles Mary Magdalene in the Cave © public domain

Die zweite große Frauenrolle in Tosca ist für eine Oper ungewöhnlich stumm, sie ist nämlich nur auf einem Bild zu sehen: die Marchesa Attavanti. Sie hat für ihren Bruder Cesare Angelotti Kleider in der familieneigenen Kapelle versteckt; zu diesem Zweck kam sie öfters in die Kirche, um einen geeigneten Moment abzupassen. Darum konnte Mario Cavradossi sie oft beim Beten beobachten und hat sie als Vorbild für sein Gemälde der Maria Magdalena genommen. Aus diesem Grund steht das Bild nicht nur zentral in der Handlung, sondern in der Regel auch zentral auf der Bühne. Die Entscheidung, wie das Gemälde in der jeweiligen Inszenierung nun aussehen soll, sollte also nicht leichtfertig getroffen werden. Regisseur Nikolaus Habjan, Bühnenbildnerin Heike Vollmer und Kostümbildnerin Denise Heschl entschieden sich nach reiflicher Überlegung für das Gemälde „Maria Magdalena in der Höhle“ des französischen Malers Hugues Merle. Der zwischen 1823 und 1881 lebende Künstler verschaffte sich eine gewisse Bekanntschaft für seine idealisierten Darstellungen des Familienlebens sowie historischer und religiöser Themen. Er malte Motive wie moderne Madonnen mit Kindern, Susanna in ihrem Bad oder, wie in unserem Fall, die Maria Magdalena. Hugues Merle bevorzugte emotionale, oft verführerische Mimik und träge Körper, um Drama und Pathos in seinen Bildern zum Ausdruck zu bringen. Tatsächlich entpuppt sich seine Maria Magdalena als entrückte Gefangene der Liebe Christi. Nikolaus Habjan beschreibt, warum sie sich ausgerechnet für dieses Gemälde entschieden haben: „Ich habe mit der Bühnenbildnerin Heike Vollmer lange nach dem passenden Bild gesucht, das diesen ganz bestimmten Ausdruck hat. Wir haben jetzt dieses Bild, in dem Maria Magdalena eine heilige Verzückung zeigt, und das hat auch etwas Erotisches. Das wird vom Messner auch sofort erkannt und angeprangert; das ist auch etwas, was die Tosca sofort rasend eifersüchtig macht, wenn sie dieses Bild sieht. Und deswegen hängt dieses Bild auch später bei Scarpia im Büro, dort ist es jedoch farblos, abgestorben und tot in einem Goldrahmen eingesperrt. Aber es ist dieser Blick, den er sich vielleicht auch erhofft: Es kann der Blick einer Sterbenden sein, oder einer Frau die vor Lust in Entzückung ist, es kann aber eben auch der Blick einer sich im Delirium Befindenden sein – dieser Blick ist unglaublich stark interpretierbar und das finde ich sehr spannend. Scarpia hat definitiv das Bild aus anderen Gründen in seinem Büro hängen als es Cavaradossi in die Kirche malt.“

8) Eine große Robe

Floria Tosca (Inga Kalna) in großer Robe
© Björn Hickmann

Floria Tosca ist eine berühmte Opernsängerin, die am Abend in der Villa Farnese ein Konzert gibt, bevor es zu der Auseinandersetzung mit Scarpia kommt. Aus diesem Grund trägt sie im zweiten Akt auch ein aufwendiges und pompöses Ballkleid, das in einem gewissen Widerspruch zu den handgreiflichen Ereignissen steht. Darum muss dieses Kleid auch ganz bestimmte Kriterien erfüllen! Die Kostümbildnerin Denise Heschl hat sich bei ihrem Entwurf von den großen Roben der glamourösen Hollywood-Diven der 50er Jahre inspirieren lassen. Dabei herausgekommen ist ein Traum in rosé, der einen zarten Farbklecks in die überwiegend düstere (Polizei-)Welt bringt. Die drei Sängerinnen der Tosca haben allesamt ein individuell angepasstes „Oberteil“ bekommen, das (teilweise bodenlang) über den Unterrock getragen wird. Der Unterrock wurde zweimal angefertigt, dabei wurde für einen Rock 50 Meter cremefarbener und 50 Meter roséfarbener Tüll verwendet – pro Rock also 100 Meter, insgesamt 200 Meter Tüll für Tosca! Der Tüll ist dafür da, dass der Rock den gewissen „Wow-Effekt“ bekommt und schön „aufgebauscht“ ist. Das Oberteil, auch Drapage genannt (frz. drapé: Faltenwurf; draper: sich in einen Umhang hüllen), wurde in kunstvoller Handarbeit von den Kolleginnen der Schneiderei genäht und ist aus Satin-Polyester. Aus diesem Material muss es auch sein, denn es muss einiges aushalten: in jeder Vorstellung wird das Kleid aufs Neue mit dem Blut des sterbenden Scarpias bespritzt. Doch am nächsten Abend muss es natürlich wieder tadellos aussehen, dafür muss es im Anschluss an die Vorstellung von den Ankleider*innen gewaschen werden. Wäre das Kleid (wie im „normalen“ Leben üblich) aus Seide, sähe es schon beim zweiten Mal sehr mitgenommen aus. Satin-Polyester hat hingegen den Vorteil, dass man es – wenn auch vorsichtig – waschen kann. So kommt das blutbeschmierte Kleid in einen großen Zuber und wird mit größter Vorsicht von Hand gewaschen. Danach wird es wie eine Wurst in ein großes Handtuch gerollt und ebenso vorsichtig getrocknet. Der viele Stoff, der in diesem aufwendigen Kleid steckt, wiegt nass übrigens bis zu 24 kg!

9) Himmlische Stimmen

Der Knabenchor im Videostill © Kai Ehlers

Auch wenn ihr Auftritt nur ein paar Minuten umfasst, so trägt der Part der jungen Messdiener doch wesentlich zum monumentalen Gesamteindruck des Finales des ersten Aktes bei. An der Oper Dortmund übernehmen diese Aufgabe die Mitglieder des Knabenchors der Dortmunder Chorakademie souverän. In dem Chor, der seit 2002 besteht, singen bis zu 40 Jungs zwischen neun und vierzehn Jahren. Sie genießen eine ausgezeichnete Ausbildung, die in der Regel schon im Alter von sechs Jahren beginnt. Bevor sie in den anspruchsvollen Konzertchor aufgenommen werden, wirken sie in verschiedenen Vorchören mit, in denen sie spielerisch die notwendige Gesangstechnik erlernen. Zusätzlich zu den Chorproben bekommen sie einmal in der Woche Solounterricht, damit ihre individuelle Singstimme fachgerecht ausgebildet wird. Auf diese Weise sind sie in der Lage, auch bei professionellen Produktionen wie unserer Tosca teilzunehmen. Der Corona-Pandemie ist es geschuldet, dass die jungen Sänger diesmal leider nicht live auf der Bühne zu sehen sind. Ihr Gesang erklingt jedoch bei jeder Vorstellung in natura von der Hinterbühne, wo sie für das Publikum unsichtbar postiert sind (übrigens ebenso wie der Opernchor). Auf der Bühne kann man die Jungs allerdings als schattenhafte Geister erleben, die nach einer vorangegangenen Videoaufzeichnung auf eine dünne Gaze projiziert werden. Auf diese Weise entsteht ein ganz besonderer Effekt, der die Szene in eine geradezu übernatürliche Atmosphäre taucht. Man sollte das gesehen haben! Wer sich darüber hinaus detaillierter über den Chor informieren möchte, kann dies unter https://knabenstimmen.de/ oder https://singen-macht-freude.de/ tun.

10) Ein Cast der Extraklasse

Die Sänger*innen, die in der neuen Dortmunder Tosca zu erleben sind, sind allesamt herausragende Künstler*innen ihres Fachs und auf den großen Bühnen Deutschlands oder gar der Welt zuhause. Gleich drei verschiedene Toscen und drei Scarpias stellen sich in der Ruhrmetropole mit Nikolaus Habjans Inszenierung vor, unter ihnen einige Rollen- und Hausdebütant*innen. So interpretieren alle drei Toscen diese Partie zum allerersten Mal in Dortmund, und auch Mandla Mndebele singt hier seinen ersten Scarpia. Lediglich die Partie des Cavaradossi ist mit nur einem Sänger besetzt, nämlich dem Ensemblemitglied James Lee. Es lohnt sich also, diese Inszenierung mehrfach anzuschauen, denn so kann man nicht nur die verschiedenen Sänger*innen erleben, sondern sich auch selbst einen Eindruck davon verschaffen, wie sich die Dynamik des Stückes durch die unterschiedlichen Konstellationen verändert.

Floria Tosca Nr. 1 – Inga Kalna

© Les Concerts Parisiens

Erstmals zu Gast in Dortmund ist die lettische Sopranistin Inga Kalna. Sie studierte Gesang und Musikwissenschaft an der Lettischen Musikakademie sowie an der Royal Academy of Music in London. Nach einem Engagement an der lettischen Nationaloper wurde sie 2001/02 Ensemblemitglied der Hamburgischen Staatsoper. Dort sang sie u. a. Adina (L’elisir d’amore), Gilda (Rigoletto), Lucia (Lucia di Lammermoor), Violetta Valéry (La traviata), Mimi (La Bohème) und Ilia (Idomeneo). Eine enge Zusammenarbeit verbindet sie mit René Jacobs, u. a in Montpellier und bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. Seit der Spielzeit 2007/08 freischaffend tätig, gastiert sie u. a. an der Bayerischen Staatsoper, Staatsoper Berlin, Vlaamse Opera Antwerpen / Gent, Opéra National de Paris, Teatro alla Scala, Wiener Staatsoper, Gran Teatre del Liceu sowie bei den Festivals in Aix-en-Provence und Salzburg. Dort arbeitet sie mit Dirigent*innen wie Simone Young, Sir Colin Davis, Ingo Metzmacher, Marc Minkowski, Riccardo Muti und Stefan Soltesz.

Floria Tosca Nr. 2 – Stéphanie Müther

© Björn Hickmann

Dem Dortmunder Publikum bereits bestens bekannt ist Stéphanie Müther, die seit ihrer Aufnahme ins Ensemble der Oper Dortmund in der Spielzeit 2018/19 hier mit großem Erfolg als Turandot und Ortrud (Lohengrin) zu erleben war. 2018 sang sie ihren ersten kompletten Ring-Zyklus als Brünnhilde am Theater Chemnitz, ein Jahr später an der Biwako Hall in Otsu (Japan). An der Oper von Oviedo gastierte sie 2019 als Brünnhilde in einer Neuinszenierung von Götterdämmerung. 2020 hätte sie bei den Bayreuther Festspielen debütieren sollen. Als Walküren-Brünnhilde wird sie in der Spielzeit 2021/22 auch in Peter Konwitschnys Ring in Dortmund zu erleben sein. 2020/21 bereitete sie ihr Rollendebüt als Färberin (Die Frau ohne Schatten) vor. Sie begann als Mezzosopranistin in Rollen wie Herodias (Salome) und Fioretta (I Medici) sowie Sesto (La clemenza di Tito), vollzog aber 2016 erfolgreich ihren Fachwechsel und debütierte als Lady Macbeth am Theater Erfurt im dramatischen Sopranfach. Mit Ion Buzea perfektioniert sie ihr aktuelles und künftiges Opernrepertoire.

Floria Tosca Nr. 3 – Gabriela Scherer

© Gisela Schenker

Ebenfalls zu Gast in Dortmund ist Gabriela Scherer. Ein Highlight wird sicherlich die Vorstellung am 04.12.21 sein, wenn sie als Tosca auf der Bühne gegen ihren Ehemann Michael Volle losgehen muss, der an diesem Datum den Scarpia interpretieren wird. Sie studierte am Mozarteum in Salzburg und erhielt mehrfach Preise, wie z. B. beim Internationalen Mozartwettbewerb Salzburg im Jahr 2006. Sie vervollständigte ihre Ausbildung im Opernstudio Zürich sowie mit Meisterkursen bei Angelika Kirchschlager, Francisco Araiza und Barbara Fink. Seit ihrem erfolgreichen Wechsel zum jugendlich-dramatischen Fach singt sie große Partien wie Ariadne (Ariadne auf Naxos), Contessa (Le nozze di Figaro), Agathe (Der Freischütz), Elisabetta (Don Carlo), Freia (Das Rheingold), Gutrune (Götterdämmerung), Senta (Der fliegende Holländer) und Arabella an den (Staats-)Theatern in Luzern, Lübeck und Wiesbaden, der Oper Leipzig, der Semperoper Dresden und der Deutschen Oper am Rhein. Sie arbeitet regelmäßig mit herausragenden Dirigent*innen wie Riccardo Chailly, John Eliot Gardiner, Lawrence Foster, Christopher Hogwood, Kent Nagano, Marek Janowski, Marcus Bosch und Simone Young zusammen.

Mario Cavaradossi „The One and Only“ – James Lee

© Björn Hickmann

James Lee gab sein Debüt an der Oper Dortmund als Einspringer in einer Vorstellung der Turandot und kehrte in der Spielzeit 2019/20 als Benjamin F. Pinkerton (Madama Butterfly) hierher zurück. Seit 2020/21 ist er festes Ensemblemitglied und zeigt als Mario Cavaradossi einmal mehr, wie wunderbar seine Stimme zu Puccini passt. Er studierte Gesang an der University of Yeungnam in Kyongsan (Südkorea) sowie an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf. Er erhielt u. a. 2013 den 1. Preis und Spezialpreis beim Competizione dell’Opera in Linz. Er war in Partien wie Calaf (Turandot) an der Oper Graz zu erleben, als Arrigo (Les vêpres siciliennes), Don José (Carmen) und Manrico (Il trovatore) am Theater Freiburg sowie als Riccardo (Un ballo in maschera) am Staatstheater Saarbrücken. Am Teatr Wielki in Lodz (Polen) debütierte er als Samson (Samson et Dalila). Eine seiner wichtigsten Partien ist Radames (Aida), den er bereits am Prager Nationaltheater, am Opernhaus in Kairo, im Tempel von Hatschepsut auf dem Luxor Festival sowie an der Oper Dortmund interpretierte, ferner in Franco Zeffirellis Inszenierung an der Staatsoper in Georgien, bei den Opernfestspielen St. Margarethen und den Schlossfestspielen Schwerin.

Baron Scarpia Nr. 1 – Noel Bouley

© Simon Pauly

Die Partie des Scarpia hat Noel Bouley zwar bereits mehrfach gesungen, an der Oper Dortmund ist er jedoch erstmals zu Gast. Dafür kann man ihn in der Spielzeit 2021/22 gleich zweimal erleben, denn er wird ebenfalls den Hunding in Peter Konwitschnys Walküre singen. Seit der Spielzeit 2020/21 ist Noel Bouley als freischaffender Sänger tätig und gab kürzlich einige wichtige Rollen- und Haus-Debüts: als Oberpriester des Dagon (Samson et Dalila) an der Washington National Opera, Ford (Falstaff) an der Oper Köln, in der Titelpartie von Der fliegende Holländer an der Oper Leipzig sowie als Wotan (Das Rheingold) und in Rigoletto am Theater Chemnitz. Zuvor war er von 2014/15 als festes Ensemblemitglied an der Deutschen Oper Berlin, wo er in der Titelpartie des Falstaff debütierte. Darüber hinaus interpretierte er dort Partien wie Lescaut (Manon Lescaut), Dulcamara (L’elisir d’amore), Biterolf (Tannhäuser), Sharpless (Madama Butterfly), Förster (Das schlaue Füchslein) und Angelotti (Tosca); als Wotan (Das Rheingold) wird er an dieses Haus zurückkehren. Am Theater Basel wird er als Germont (La traviata) zu erleben sein; erstmals sang er diesen 2018 beim Opernfestival in Glyndebourne.

Baron Scarpia Nr. 2 – Mandla Mndebele

© Björn Hickmann

Auch im Ensemble der Oper Dortmund findet sich ein veritabler Scarpia. Der 1990 in Südafrika geborene Bariton Mandla Mndebele schloss sein Diplom für Gesang an der Tshwane University of Technology in Pretoria ab, war danach zunächst Mitglied des Chores des Black Tie Ensembles sowie der Opera Africa und wechselte schließlich in der Spielzeit 2016/17 als Solist an die Cape Town Opera. 2014 war er als Crown (Porgy and Bess) am Gran Teatre del Liceu in Barcelona zu erleben sowie in den darauffolgenden Jahren am Teatro Real de Madrid und Teatro Colón in Buenos Aires. 2017 gewann er den 3. Preis und den Publikumspreis des Internationalen Hans Gabor Belvedere Gesangswettbewerbs. Sein Repertoire umfasst u. a. Giorgio Germont (La traviata) sowie die Titelpartie aus Don Giovanni. Seit 2018/19 ist er im Ensemble der Oper Dortmund, wo er bislang u. a. Amonasro (Aida), Sharpless (Madama Butterfly) und Pietro (La muette de Portici) sang.

Baron Scarpia Nr. 3 – Michael Volle

© Gisela Schenker

Ein für Dortmunder Verhältnisse doch schon etwas besonderer Gast wird den Scarpia in der Vorstellung am 04.12.21 übernehmen: Michael Volle zählt zu den weltweit gefragtesten Sängern überhaupt. Der Bariton ist ein Fixstern aller bedeutender Opernhäuser und Festspiele weltweit. 2020/21 debütierte er als Boris (Boris Godunow) am Opernhaus Zürich, als Jack Rance (La fanciulla del West) war er unter der Leitung von Sir Antonio Pappano an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin zu erleben. Zu den Bayreuther Festspielen kehrte er als Hans Sachs (Die Meistersinger von Nürnberg) und in einer konzertanten Aufführung des Parsifal zurück. Er ist einer der führenden Interpreten des deutschen Fachs, aber auch im italienischen Fach ist der Bariton zuhause, so ist er regelmäßig in den Titelpartien von Verdis Nabucco und Falstaff zu hören, brilliert als Scarpia (Tosca), Graf Almaviva (Le nozze di Figaro) und Don Giovanni. Auf dem Konzertpodium ist er in allen bedeutenden Sälen der Welt und mit den renommiertesten Orchestern zu hören. Er arbeitet regelmäßig mit Dirigenten wie Daniel Barenboim, Zubin Mehta, Christian Thielemann, Sir Antonio Pappano, Franz Welser-Möst, Valery Gergiev und Thomas Hengelbrock zusammen. Er widmet sich intensiv dem Liedgesang und gibt mit Helmut Deutsch am Klavier regelmäßig Liederabende.

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