7 Dinge über „Siegfried“, die Sie (vielleicht) noch nicht wussten …

7 Dinge über „Siegfried“, die Sie (vielleicht) noch nicht wussten …

Am Samstag, 20. Mai 2023 geht der neue Dortmunder „Ring“-Zyklus mit der Premiere von Peter Konwitschnys Inszenierung des „Siegfried“ in seine nächste Runde. In der Literatur zu Wagners „Ring des Nibelungen“ taucht immer wieder der Vergleich der Tetralogie mit einer Sinfonie in vier Sätzen auf, wobei dem „Siegfried“ die Rolle des Scherzos beigemessen wird. Und in der Tat gibt es in dieser Oper zahlreiche mehr oder minder „komische“ Elemente zu entdecken – aber auch mancherlei wissenswerte Zusammenhänge zu erläutern …

1. Kein Don Juan

Siegfried erweckt Brünnhilde (Otto von Richter, 1892)

Siegfried ist ein wahrhaftiger Held. Vielleicht ist er sogar der größte Held der gesamten Operngeschichte. Aber ist er damit zugleich ein Frauenheld? – Keineswegs. Als Waise fernab aller Zivilisation in den Wäldern aufgewachsen, begegnet der junge Mann am Ende von Wagners Oper mit der schlafenden Brünnhilde zum ersten Mal in seinem Leben einem weiblichen Wesen, was ihn prompt zu der unumstößlichen Äußerung veranlasst: „Das ist kein Mann!“ – So sieht Sexualkundeunterricht im Eilverfahren aus.

2. Zarte Familienbande

Siegfried tötet den Drachen (Wandfresko im Schloss Neuschwanstein)

Was für ein Draufgänger: Siegfried ist nicht nur ein furchtloser Drachentöter, der seinen Ziehvater Mime kaltblütig ersticht und seinem göttlichen Großvater Wotan den Lieblingsspeer zerbricht. Am Ende der Oper erweckt der hehre Held sogar die auf einem Felsen ruhende Brünnhilde aus ihrem Zauberschlaf, und die finalen Takte der Musik erzählen vom beidseitig vollzogenen Liebesakt des eben erst frisch zueinandergefundenen Paares – ein genauerer Blick auf seinen Stammbaum verrät dabei: sie ist seine Tante. Holdes Familienglück.

3. Ein echtes Sprachgenie

Karikatur Richard Wagners als Siegfried, der Drachentöter (1879)

Von wegen „stupider Muskelprotz“. Trotz seines brachialen Heldentums beweist Siegfried, gerade im Verlauf des zweiten Aktes, mitunter multilinguale Fähigkeiten, wie man sie ihm auf den ersten Blick kaum zugetraut hätte. Nicht nur, dass er sich auf Anhieb mühelos mit dem gefräßigen Drachen Fafner verständigen kann – nach einem Bad in dessen Blut kann er sich sogar mit den Vögeln des Waldes unterhalten, und obendrein auch die Gedanken des tückischen Nibelungen Mime lesen – ein im wahrsten Sinne des Wortes „verständnisvoller“ Held also.

4. Eine „Mords Gaudi“

Ehemaliges Dortmunder „Ring“-Plakat zu einem früheren „Siegfried“ (Theaterarchiv)

Siegfried ist in Wagners Oper eine unbestreitbare Lichtgestalt. Unmittelbar, bevor er den Drachen erschlägt, rühmt selbst dieser ihn als „helläugigen Knaben“ und „rosigen Helden“. Sogar Wotan preist Siegfrieds „lichte Art“. Und auch Hagen, Siegfrieds späterer Rivale in „Götterdämmerung“, verlautbart über diesen, dass Brünnhilde durch ihn „einem Stärkeren“ angehöre. Für dieses Prinzip wird im „Ring“ nicht weniger als sieben Mal gemordet. Dagegen kennt das ursprüngliche Nibelungenlied – Jahrhunderte zuvor im ach so finsteren Mittelalter entstanden – für die Siegfried-Handlung nur einen einzigen Mord: nämlich den an Siegfried selbst. Doch wie und wen auch immer Wagners Siegfried tötet: Er wird fortwährend als „siegendes Licht“ gefeiert und als „Herrlicher“ besungen. So ein Charisma möchte man gerne haben.

5. Bewandert in Verstellung

Kostümentwurf zum Wanderer von Carl Emil Doepler (1882)

In „Siegfried“ tritt Wotan nicht als er selbst, sondern – in Mantel, Hut und ein neues Leitmotiv gehüllt – als ominöser Wanderer auf. Der Grund für diese ungewöhnliche Maskerade ist, dass er zwar zuvor in der „Walküre“ noch großspurig verkündet hat, sich fortan nicht mehr als göttlicher Strippenzieher betätigen zu wollen und sich stattdessen aus allen weiteren Geschehnissen der Opernhandlung herauszuhalten. Ein Versprechen, dessen Einhaltung ihm im „Siegfried“ – erkennbar an seinen Schmiede-Tipps an Mime oder seinen mutmaßlichen Einzwitscherungen an einen Waldvogel – allerdings merklich schwer fällt. Ein zeitloses Phänomen, gerade bei dominanten Führungspersönlichkeiten.

6. Langer Schönheitsschlaf

Gähnende Anspannung vor dem nächsten Akt (Stockfoto)

Nicht nur Brünnhilde verfügt über einen ausgesprochen gesunden Schlaf – verschläft sie doch die kompletten ersten beiden Akte ihrer eigenen „Errettungsoper“. Nachdem Siegfried im zweiten Akt den Drachen Fafner in seinen immerwährenden Todesschlaf befördert hat, ruht er sich selbst sage und schreibe zwölf Jahre lang unter einer Linde aus. So lang legte Wagner nämlich seinen begonnenen „Siegfried“ beiseite, ehe er die Arbeit an diesem – nach der Vollendung von solch wegweisenden Werken wie dem „Tristan“ oder den „Meistersingern“ – schließlich mit mehr als einer vollen Dekade Verzögerung beendete. Der Wagnersche Musikgenuss verlangte also schon zu Wagners Zeit vom Publikum jede Menge Geduld.

7. Wissendes Weib

Erda begegnet dem Wanderer (Abbildung aus dem 19. Jahrhundert)

Hinter Erdas Ausspruch „Weiche, Wotan, weiche!” verbirgt sich nicht etwa – wie immer wieder von höchst albernen Quellen kolportiert wird – eine Antwort auf dessen Frage, welche Eier sie gerne zum Frühstück hätte. Tatsächlich kommt hierin die Warnung der weisen Wala zum Ausdruck, der machtversessene Obergott möge die Nähe des verfluchten Ringes meiden. Schon in „Das Rheingold“ prophezeite die sehende Göttin das Ende der Götterwelt und setzte hierdurch erst Wotans ambitionierten Plan zur Vereitelung der drohenden Götterdämmerung in Gang. – Hätte er mal besser auf diese Frau gehört!

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