Die Stunde danach Am Freitag, 28. April 2017, findet um…
7 Dinge über „Orpheus in der Unterwelt“, die Sie (vielleicht) noch nicht wussten …
Nach den erfolgreichen Produktionen Die Entführung aus dem Serail, Tosca und Die Zauberflöte widmet sich Hausregisseur Nikolaus Habjan in dieser Spielzeit dem komischen Genre. Pünktlich zum Karnevalsbeginn kann man an der Oper Dortmund ab dem 11. November das wohl bekannteste Werk des gebürtigen Kölner Komponisten Jacques Offenbach erleben: Orpheus in der Unterwelt. Die Komik dieser derben Parodie auf den bekannten Orpheus-Mythos ist bis heute ungebrochen und kommt auch in Habjans gewohnt humorvollem Dortmunder Regiekonzept bestens zur Geltung. Höchste Zeit also, sich nochmals genauer mit dieser weltbekannten Offenbachiade auseinanderzusetzen. Hier kommen 7 Dinge über Orpheus in der Unterwelt, die Sie (vielleicht) noch nicht wussten:
1. Ein Mythos für die Opernbühne
Bildausschnitt von Luigi Vaccas gemalten Bühnenvorhang in Chambéry (1824)
Mit dem Orpheus-Mythos nahmen Offenbach und seine Textdichter Hector Crémieux und Ludovic Halévy einen Stoff in Angriff, der mit Blick auf die Musikgeschichte bis heute eine große Bedeutung innehat. So wird die Geburtsstunde des Musiktheaters unmittelbar mit Claudio Monteverdis 1607 uraufgeführtem L’Orfeo verbunden. Dies ist insofern ungenau, da das bereits sieben Jahre zuvor komponierte Werk Euridice von Jacopo Peri die faktisch erste vollständig erhaltene Oper markiert. In jedem Fall erachteten jedenfalls sowohl Monteverdi als auch Peri die Orpheus-Mythologie als prädestiniert für die damals neuartige Gattung der Oper. Dies ist kaum verwunderlich – wird darin doch erzählt, wie Orpheus mit der Macht der Musik den Kräften der Unterwelt trotzt.
Am Ende bleibt Orpheus in seinem Vorhaben, seine Frau Eurydike aus der Unterwelt zu erretten, jedoch erfolglos: Er scheitert an der letzten Prüfung, sich nie nach Eurydike umzublicken, solange beide nicht vollständig wieder im Erdenreich angelangt sind. Der Grund für Orpheus’ Versagen variierte hierbei immer wieder in den zahlreichen musikalischen Bearbeitungen des Stoffes. Bei Monteverdi dreht sich Orpheus um, nachdem er vor einem unerwarteten Geräusch erschrickt, in Glucks Orfeo ed Euridice – einem Werk, das als vielleicht wichtigste Reformoper in der Historie einging – ist es schließlich Eurydike selbst, die Druck auf Orpheus ausübt und ihn dazu bewegt, als Zeichen der Zuneigung das Verbot zu missachten. Von der Tragik dieser zum Scheitern verurteilten letzten Prüfung ist bei Offenbach wiederum nichts mehr zu spüren: Orpheus und Eurydike können sich nämlich überhaupt nicht ausstehen und sind geradezu froh darüber, dass Eurydike in die Unterwelt entführt wird. Die Öffentliche Meinung zwingt den armen Orpheus jedoch, dem Verlauf der Mythologie zu folgen. Am Ende scheitert er aufgrund eines gezielt eingesetzten Blitzes von Jupiter. Damit erreicht der ebenso an Eurydike interessierte Göttervater, dass am Ende keiner Eurydike bekommt. Diese dient fortan als Bacchantin dem Weingott Bacchus. Anders als im ursprünglichen Mythos kann der Offenbachsche Orpheus damit gut leben.
2. Erstes abendfüllendes Werk
Das Théâtre des Bouffes-Parisiens während einer Vorstellung des Offenbach-Einakters Un mari à la porte (1859).
Nachdem Jacques Offenbach im Jahr 1855 sein eigenes Théâtre des Bouffes-Parisiens gegründet hatte, musste er in dieser Spielstätte anfangs noch eine Reihe von Auflagen erfüllen. Dazu zählte unter anderem, dass nur eine sehr geringe Personenzahl innerhalb einer genaustens festgelegten Spieldauer auf der Bühne agieren durfte. Ebenso gab es inhaltliche Reglementierungen: erlaubt waren etwa Pantomimen, Harlekinaden oder chinesische Schattenspiele. Als Konsequenz auf diese behördlichen Vorgaben antwortete Offenbach mit einer Vielzahl von Einaktern. 1858 ließ das Ministerium schließlich die Beschränkungen aufheben, womit Offenbach nun endlich ein großes abendfüllendes Werk komponieren konnte. Folglich stellt Orpheus in der Unterwelt ein Novum im Schaffen von Offenbach dar, bei dem dieser die Möglichkeiten der großen Form zum allerersten Mal voll auskosten konnte.
3. Prototyp der Operette
Jacques Offenbach fotografiert von Félix Nadar
Apropos Novum: In der Musikgeschichte wird Offenbachs Orpheus gemeinhin als Geburtsstunde der Operette angesehen. Strenggenommen ist das Stück jedoch eigentlich gar keine Operette, sondern vielmehr eine Opéra-bouffon. Mit Operette meinte man zu dieser Zeit nämlich noch eine kurze bzw. kleine Oper und keineswegs das lustige Genre, das wir uns heute darunter vorstellen. In Anbetracht des großen Einflusses von Offenbach auf die komischen Musiktheaterwerke der Nachwelt ist es dennoch nicht unbedingt falsch, die Genese der Operette in diesem Werk zu sehen. So werden die wichtigsten Merkmale der Gattung bedient: Eine Fülle einprägsamer Melodien, ein besonderer Fokus auf das Element des Tanzes sowie eine Parodie, die einen subtilen Bezug auf reale gesellschaftliche Themen nimmt. In Offenbachs Orpheus wird etwa unter dem Deckmantel der Mythos-Parodie die Gesellschaft des Zweiten Kaiserreichs in Frankreich aufs Korn genommen. Dementsprechend sollte man sich nicht zwangsweise an Begrifflichkeiten wie Operette oder Opéra-bouffon aufhängen – Orpheus in der Unterwelt ist aus heutiger Sicht fraglos der Prototyp einer Operette.
4. Es lebe der Galopp!
Wo wir bereits bei Begrifflichkeiten sind: Die berühmteste Nummer im Orpheus ist zweifellos der Cancan, der den krönenden Abschluss von Plutos Höllenfest darstellt. Tatsächlich betitelte Offenbach dieses Musikstück gar nicht als „Cancan“, sondern als „Galop infernal“. Gleichwohl spielte er mit dieser Musik durchaus auf die Anrüchigkeit des Cancans, mit seinen typischen Spagatsprüngen und hohen Beinwürfen, an. Allerdings wurde der Cancan in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch hauptsächlich als Solotanz aufgeführt. Die heutzutage assoziierte Choreografie von parallel zur Rampe agierenden Tänzerinnen – die typische Charakteristik des sogenannten „French Cancan“ – wurde erst viele Jahre später von Pierre Sandrini etabliert. Damit hat das Moulin-Rouge-Klischee, das man in Film und Fernsehen bei dieser Nummer so gut wie immer vorgesetzt bekommt, eher wenig mit dem zu tun, was Offenbach zu seiner Zeit im Sinn hatte.
5. Legendäre Zeitungsfehde
Der Kritiker Jules Janin fotografiert von Félix Nadar
Ähnlich dem großen Ehekrach zwischen Orpheus und Eurydike sollte auch im wahren Leben dem Streit eine zentrale Funktion bei der Erfolgsgeschichte des Werkes zukommen. So echauffierte sich der damalige Kritiker-Papst der Zeitung Journal de Débats – Jules Janin – eher beiläufig in einem Feuilletontext über Orpheus in der Unterwelt und kritisierte hierbei die im Stück gezeigte Parodie auf die mythologische Sage. Daraufhin entbrannte eine regelrechte Fehde, wobei Offenbach und sein Librettist Crémieux ihrerseits auf die Kritik Janins in der Zeitschrift Figaro antworteten. Der Streit schlug so hohe Wellen, dass nun auch die letzte Person unbedingt eine Vorstellung des Orpheus sehen wollte. Offenbach versuchte mit Blick auf die hohe Publikumsresonanz sogar mehrmals, die Fehde künstlich am Leben zu erhalten. In der späteren Orpheus-Fassung von 1874 haben sich Offenbach und Crémieux zudem den Spaß erlaubt, in der neu hinzugekommenen Musiknummer „Air en prose“ bei Plutos Auftritt im Olymp einen Lobtext auf die Mythologie von Janin zu vertonen. Somit waren es Janins eigene schwülstige Worte, die die Mythologie ad absurdum führten.
6. Zwei Fassungen
Werbeplakat für die Opéra-féerie-Fassung (1878)
Mit Nummern wie „Air en prose“ wären wir nun auch bei der Fassungsthematik angelangt. Orpheus in der Unterwelt wurde im Laufe der Jahre von Offenbach mehrfach bearbeitet. Hierbei kristallisierten sich vor allem zwei verschiedene Fassungen heraus: Einerseits die Opéra-bouffon aus dem Jahr 1858, andererseits die Opéra-féerie aus dem Jahr 1874, indem Offenbach nun die Möglichkeiten des wesentlich größeren Théâtre de la Gaîté ausnutzte. So wurden die vier Einzelbilder der 1858er-Version zu vier eigenständigen, großangelegten Akten erweitert, mit zahlreichen Ballettnummern und zusätzlichen Handlungssträngen. Dass sich die Nummern der alten 1858er-Version dennoch nahtlos in die spätere Fassung von 1874 fügten, erklärte der Offenbach-Freund Arnold Mortier mit folgender ironischer Anekdote:
„Ich habe mir sagen lassen, dass, um keinerlei Disparitäten zwischen zwei Partituren aufkommen zu lassen, die im Abstand von 16 Jahren geschrieben wurden und die nun ein einziges großes Ganzes bilden mussten, Offenbach zu einem Mittel gegriffen hat, das vielleicht nicht bei allen Komponisten zum Erfolg führen würde, ihm aber geholfen hat. Durch den größten aller Zufälle fand er in einem Schrank seines Landhauses in Étretat den Schlafrock und die Pantoffeln wieder, die er 1858 getragen hatte, und als es darum ging, die neuen Nummern zu schreiben, hüllte er sich in seinen alten Schlafrock und stieg in seine alten Pantoffeln.“
In Dortmund ist im Übrigen eine Mischfassung zu hören, die sich primär an der 1858er-Version orientiert, hierbei aber die Höhepunkte der 1874er-Fassung nach wie vor berücksichtigt.
7. Ein Ehepaar im echten Leben
Zachary Wilson und Rinnat Moriah
Wie man es an der Oper Dortmund gewohnt ist, wartet auch diese Neuproduktion wieder mit einem bestens aufgelegten Gesangsensemble auf. Eine Besonderheit stellt hierbei vor allem das dauerstreitende Ehepaar Orpheus und Eurydike dar. Denn dieses wird in unserer Produktion durch das Gesangspaar Zachary Wilson und Rinnat Moriah dargestellt. Die beiden sind auch im echten Leben miteinander verheiratet. Im Gegensatz zu ihren fiktiven Bühnenrollen führen sie allerdings eine glückliche Ehe.
Titelbild: © Björn Hickmann