Der südafrikanische Bass-Bariton Mandla Mndebele gehört seit der Spielzeit 2018/19…
Hinter den Kulissen: Drei Interviews zu “Die Piraten von Penzance”
Hallo, mein Name ist Sophie und ich mache seit August 2023 mein freiwilliges soziales Jahr an der Oper Dortmund. Hier gibt es ein kurzes Video von mir.
Aktuell begleite ich als Regieassistentin unsere partizipative Produktion Die Piraten von Penzance – eine Komische Oper von Gilbert & Sullivan, die im Rahmen von Oper erleben mit den Jugendclubs We DO Opera! – Opernkids, OpernYoungsters, YoungSymphonics und dem TU Unichor realisiert wird. In diesem Blogbeitrag möchte ich euch unsere Produktion näherbringen. Dazu habe ich Interviews mit drei Produktionsmitgliedern geführt: unserem Regisseur Alexander Becker, unserem Stückdramaturg Daniel Andrés Eberhard und unserem Musikalischen Leiter Stefan Scheidtweiler. Mein Ziel ist es, sowohl interessierten Opernkenner*innen als auch neugierigen Jugendlichen, die vielleicht zum ersten Mal überhaupt mit dem Musiktheater in Berührung kommen, Einblicke in das Stück, die Inszenierung und das Projekt zu ermöglichen.
v.l.n.r.: Stefan Scheidtweiler, Alexander Becker, Daniel Andrés Eberhard © Sophie Marie Stein
Doch worum geht es überhaupt in Die Piraten von Penzance? Diese in Deutschland doch eher unbekanntere Komische Oper handelt vom jungen Piratenlehrling Frederic, der im Alter von 21 Jahren seiner Piraten-Gang (inklusive seiner treuen Nanny Ruth) den Rücken kehrt, um in der weiten Welt sein Glück zu suchen. Dieses scheint er zu finden, als er sich in Mabel, die Tochter eines alten Generals, schockverliebt. Doch so leicht geben die Piraten nicht auf und wollen Frederic mit Hilfe eines Paradoxes dazu bewegen, wieder Teil ihrer Gang zu werden: Da Frederic in einem Schaltjahr am 29. Februar geboren wurde, ist er nach Geburtstagen gerechnet noch gar nicht 21, sondern erst 5 ¼ Jahre alt! Sein bindendes Pflichtgefühl zwingt den armen Ex-Piraten wieder dazu, zur Gruppe zurückzukehren …
Genaueres werdet ihr nach und nach in den Interviews erfahren. Ich freue mich auf eure Besuche auf diesem Opernhausblog!
1. Interview: Alexander Becker
© Björn Hickmann
Alexander Becker ist aus der Oper Dortmund gar nicht mehr wegzudenken. Seit 2005 arbeitet er am Haus unter anderen als Inspizient, aber auch als Leiter und Regisseur der Jugendclubs im Rahmen von Oper erleben. Er inszenierte zudem nicht nur Projekte wie Linie 1, Orpheus in der Unterwelt oder Inside Carmen, sondern ist in der aktuellen Spielzeit 2023/24 unter anderem auch als Regisseur für die Operngala Viva la Diva sowie die Junge-Opern-Produktion Prinzessin sein? Nein, danke! verantwortlich.
Lieber Alexander, was war dir besonders wichtig in deiner Inszenierung von Die Piraten von Penzance zu erzählen?
Meinem Team und mir ging es vor allem darum, die Figuren, die im Original eigentlich sehr oberflächlich angelegt sind, genauer zu durchleuchten und ihnen mehr Tiefe zu geben. Das heißt also, die Geschichte von Mabel, von Frederic und vor allem von Ruth etwas genauer zu erzählen. Mir war wichtig, dass wir einen neuen Ansatz finden und uns etwas wegorientieren vom Piraten-Klamauk, der in den Inszenierungen sonst immer zu erleben ist.
Wo liegen die Unterschiede zwischen den klassischen Inszenierungen des Stückes und deiner Produktion?
Dass wir uns mit dem „Drumherum“ auseinandersetzen und dieses in Frage stellen. Wie verhält man sich in so einer Piraten-Gang? Warum verliebt man sich auf den ersten Blick? Und so weiter. Das Originalstück von Gilbert & Sullivan ist eher auf Comedy ausgelegt und wird eigentlich immer in der gleichen Ausstattung gespielt. Uns war wichtig, einen Kontrast zu setzen und zu gucken, wie man diese komische Oper für Jugendliche und junge Erwachsene ins Heute holen und dadurch interessanter machen kann.
Du sagst, dass du die Geschichte ,,ins Heute holen“ willst. Heißt das, dass wir uns also nicht unbedingt auf Piraten-Klischees freuen dürfen?
Ich würde sagen, es gibt so ziemlich alles in unserer Inszenierung – Piraten-Haken und Totenkopf-Flagge kommen selbstverständlich auch vor. Das, was man von so einem Piratenstück denkt und vielleicht sogar erwartet, ist also durchaus zu sehen, allerdings hier und da versteckt und nicht immer ganz so offensichtlich.
Kannst du genauer ausführen, wie du die Geschichte ,,ins Heute geholt“ hast?
In der Inszenierung spielen wir mit verschiedenen Zeitebenen und Alters-Generationen. Basierend auf einer neu erarbeiteten Textfassung habe ich ein Konzept entwickelt, in dem die Geschichte in einer Rahmenhandlung aus Sicht der alt gewordenen Nanny Ruth erzählt wird, die ihre Erlebnisse aus der Vergangenheit in der gemeinsamen Erinnerung mit ihren Enkelkindern teilt. Diese Rahmenhandlung findet in der Jetztzeit statt, die eigentliche Geschichte des Stückes wiederum in den 1980er-Jahren. Die Piraten sind bei uns keine Piraten im eigentlichen Sinn, sondern vielmehr eine Art „Jugendgang“. Ein Schlüssel für die Verbindung mit unserer heutigen Zeit ist vor allem der Einsatz der Kinder: Sie transportieren die Grundgefühle, die im Originalstück vorhanden sind – das kindliche „mit Segelboten spielen“, sich verkleiden, sich männlich fühlen in der Rolle des Piraten. All das machen auch die Figuren im Originalstück. Die Kinder repräsentieren für uns das Moderne und hinterfragen zugleich ganz viele Motivationen der Figuren.
Würdest du sagen, dass die jeweilige Zeitebene, in der du deine Inszenierung verortet hast, die Machtverhältnisse zwischen den Gruppen beeinflusst?
Ich würde nicht sagen, dass es Machtverhältnisse sind. Die 80er waren auf jeden Fall eine extrem sexualisierte Zeit. Damals hat man sich noch nicht über das Handy und Social Media selbstinszeniert. Man hat sich über sein Äußeres definiert, über Zigaretten und über geile Lederjacken. Sinnbildlich wird das bei uns durch die Gegenüberstellung einer Jungen- und Mädchengruppe.
Zum Schluss noch eine Frage zu unserer Ausstattung: Wie würdest du die Bühnen- und Kostümästhetik von Annika Haller in drei Worten beschreiben?
Zeitangepasst, authentisch, schrill.
Vielen Dank für das Gespräch.
2. Interview: Daniel Andrés Eberhard
© Björn Hickmann
Als nächstes darf ich euch unseren Stückdramaturgen Daniel Andrés Eberhard vorstellen. Daniel studierte Musikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist seit der Spielzeit 2021/22 Dramaturg an der Oper Dortmund. In der partizipativen Projektreihe Oper erleben hat er zuletzt auch schon die Dramaturgie von Inside Carmen übernommen.
Lieber Daniel, wie würdest du Die Piraten von Penzance in zwei Sätzen beschreiben?
Es ist ein typisch britisches Gilbert & Sullivan-Stück. So wie wir es hier machen, hat man das Werk aber wirklich noch nie gesehen.
Was zeichnet das Stück stilistisch aus?
Es handelt sich, wie gesagt, um eine typische komische Oper von Gilbert & Sullivan. Das Interessante an diesen beiden Personen ist, dass sie privat oft aneinandergeraten sind und trotzdem im Verbund unglaublich gute Stücke im Bereich des komischen Musiktheaters geschrieben haben – Gilbert hat hierbei die Texte, Sullivan wiederum die Musik geliefert. Für Sullivan war der Erfolg im heiteren Genre zeitlebens allerdings frustrierend, weil er eigentlich sehr viel lieber eine seriöse englische Opernform etabliert hätte. Und genau das macht den musikalischen Stil seiner Stücke aus: Man hört sofort, dass er die klassische Operntradition sehr gut studiert hat und diese Musiksprache in den Piraten von Penzance nun augenzwinkernd aufs Korn nimmt. Das „Poor Wandering One“ klingt wie ein Gounod-Walzer, im Finale des 1. Aktes erklingt bei ,,Hail, poetry” plötzlich ein geistlicher Choral und der berühmte Chor ,,With cat-like tread“, erinnert sehr stark an eine Chorszene aus Verdis Il trovatore. Handwerklich und stilistisch knüpft Sullivan somit deutlich an die großen Werke des Opernkanons an, allerdings ist es unglaublich witzig, wie die absurden Handlungsstränge von Gilbert diese Musik verfremden. In „With cat-like tread“ entsteht der Humor beispielsweise dadurch, dass die Piraten davon singen, wie unglaublich leise sie seien, derweil die Musik dazu in vollster Lautstärke poltert. In „seriösen“ Opern kommt es sehr häufig zu diesem Widerspruch, dass die Sänger*innen und das Orchester lautstark artikulieren, während es in der Szene inhaltlich eigentlich gerade darum geht, möglichst leise zu sein, worüber sich Gilbert & Sullivan ganz bewusst lustig machen. Sehr markant für ihren Stil sind natürlich auch die „Patter songs“ – auf Deutsch „Plapper-Lieder“ –, wo es darum geht, so viel Text wie möglich in kürzester Zeit musikalisch unterzubringen. In den Piraten von Penzance zeigt sich das unter anderem in der Solo-Nummer des Major-General.
Was ist deiner Meinung nach die Hauptaussage des Stückes?
Das ist tatsächlich nicht so einfach zu sagen, da die Handlungsverläufe von Gilbert ganz bewusst abstrus gestaltet sind. Im Kontext der Entstehungszeit des Werkes ging es vor allem darum, die Gesellschaft aufs Korn zu nehmen. Die Piraten von Penzance sind also eine Real-Satire auf die Gegebenheiten im England Ende des 19. Jahrhunderts, wobei man sich durchaus getraut hat, bestehende Strukturen rigoros zu hinterfragen. In den Piraten von Penzance wird sich beispielsweise vor allem über Obrigkeiten lustig gemacht: Das Militär in Form des Major-Generals, die Polizei in Form der überängstlichen Polizisten, aber natürlich auch die Piraten als solche. Bezeichnend ist schon der Titel des Stückes: Penzance ist und war auch zu Zeiten Gilbert & Sullivans ein verschlafener Ort in Cornwall – eine Region, die im kompletten Widerspruch zu aufregenden Piratenabenteuern steht. Und tatsächlich sind die Piraten im Stück ja auch wenig bedrohlich, sondern letztlich nur Halbstarke.
Kann uns dieses Stück auch in der heutigen Zeit noch etwas erzählen?
Natürlich funktionieren einige Witze nicht mehr wie damals, da sich die Gesellschaft mittlerweile verändert hat. Dennoch würde ich sagen, dass Comedy zeitlos ist und man auch heute noch Strukturen vorfindet, über die man sich nur zu gerne lustig machen möchte. Einen aktualisierenden Zugang erhält man jedoch vor allem, wenn man sich die Figuren im Stück einmal genauer anschaut: Frederic ist beispielsweise ein junger Mann, der gerade erst erwachsen wird, was letztlich noch mit sehr viel eigener Unsicherheit verbunden ist. Dadurch schwankt er die ganze Zeit hin und her zwischen seinen eigenen Interessen und seinem Pflichtgefühl den anderen gegenüber. Ich denke, dass es vielen Jugendlichen heutzutage ähnlich geht, und ich finde es sehr schön, dass Alexander in seiner Regie diese Aspekte genauer herausgearbeitet hat. Ich würde auf jeden Fall sagen, dass unsere Produktion ein guter Beleg dafür ist, dass dieses Werk auch in der heutigen Zeit noch wunderbar funktioniert.
Vielen Dank für das Gespräch.
3. Interview: Stefan Scheidtweiler
© Greenshot
Zum Abschluss meiner Interview-Reihe möchte ich euch Stefan Scheidtweiler vorstellen. Stefan studierte katholische Kirchenmusik an der Musikhochschule in Köln und ist seit 2011 freiberuflicher Musiker. Er hat schon oft partizipative Projekte mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen geleitet. Unter anderem auch schon hier an der Oper Dortmund. Der ein oder andere könnte ihn beispielsweise noch als Musikalischen Leiter der Produktion Beethoven’s Last Night kennen.
Lieber Stefan, weißt du noch, was du gedacht hast, als du das erste Mal die Musik von Die Piraten von Penzance gehört hast?
Ja, das weiß ich tatsächlich noch gut, denn ich muss zugeben, dass ich erst jetzt zum ersten Mal mit dieser Oper in Berührung gekommen bin. Und was macht man, wenn man heutzutage ein Werk noch nicht kennt? Man googelt und schaut sich Videos an. Als ich dadurch dann mit dem Stück konfrontiert wurde, habe ich mir sofort gedacht: „Das wird ja ein Spaß!“. Das hat sich dann auch so herausgestellt. Diese Musik macht einfach Spaß und das habe ich auch sofort empfunden.
Die Piraten von Penzance ist bereits die zweite Produktion, die du im Rahmen von Oper erleben musikalisch leitest. Was ist der Unterschied zwischen diesem Projekt und Beethoven’s Last Night?
Im Prinzip ist es so, dass wir aktuell versuchen, ein altes Musikstück aus dem 19. Jahrhundert in die Moderne zu bringen und bei Beethoven’s Last Night war es ein andersherum, da wir dabei versucht haben, zeitgenössische Rocknummern mit klassischer Musik von Beethoven „aufzupeppen“. Man muss natürlich auch sagen, dass wir – mit einer kleinen Ausnahme, die ich noch nicht verraten möchte – dieses Mal keine Popstücke in Die Piraten von Penzance eingebaut haben. Für das Publikum mag das Endergebnis ähnlich sein, aber die Herangehensweise ist natürlich genau andersherum.
Du machst immer mal wieder partizipative Projekte. Was gefällt dir an der Arbeit mit Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen?
Jugendliche oder junge Erwachsene haben noch einen unverstellten Zugang zu klassischer Musik. Ich erinnere mich noch gut an mein Musikstudium: Da bekommt man vieles an Regeln beigebracht und es wird einem gesagt, was wie aufzuführen ist und woran man sich halten muss. Dieses Gefühl von festen Regeln haben Jugendliche natürlich erstmal (noch) nicht. Sie singen und spielen danach, wie sie es gerade schön finden. Speziell bei so einem Projekt, was nicht in der historischen Originalform aufgeführt wird, sondern auch in die Moderne hineintransportiert werden soll, ist das auf jeden Fall eine große Bereicherung. In der Entwicklung der Charaktere und der passenden Gestaltung der Musik fügt sich das dann eigentlich automatisch schön zusammen, ohne dass man dabei irgendwelche Paragrafen aus dem „Gesetzbuch der Aufführung klassischer Musik“ zitieren müsste.
Wie bewertest du die Zusammenarbeit zwischen den Laien und den Profis an der Oper Dortmund?
Ich denke, dass die organisatorische Komponente in jedem Fall eine Herausforderung darstellt. Man muss die Leute zeitlich unter einen Hut bringen. Damit habe ich Gott sei Dank relativ wenig zu tun, aber das ist natürlich bei so vielen Mitwirkenden, die alle ihr ,,Tagwerk“ haben, durchaus komplex. Die Profis, klar, für die ist es besser, wenn sie regelmäßig mittwochs um 15 Uhr einen Termin haben, aber da können eben viele nicht, die gerade aufgrund von Abitur oder Studium anderweitig beschäftigt sind. Künstlerisch erlebe ich die Zusammenarbeit als vollkommen unproblematisch und sehr konstruktiv. Ich habe jedenfalls nicht den Eindruck, dass auf der einen Seite die Profis auf die Laien herabschauen, und umgekehrt habe ich auch nicht den Eindruck, dass die Laien mit Berührungsängsten oder gar übertriebener Distanz oder Demut zu kämpfen haben. Vielmehr ist es ein schönes Miteinander, wo jeder weiß, was der oder die andere kann.
Vielen Dank für das Gespräch.
Und heute verkündet die Krake ein letztes Mal: Schaut euch unbedingt eine Vorstellung der Piraten von Penzance an! Die We DO Opera! – OpernYoungsters, OpernKids und YoungSymphonics sowie der Unichor der TU Dortmund hissen am 30. Juni um 18 Uhr, am 1. Juli um 11 Uhr und am 4. Juli um 18 Uhr die Piratenflagge im Opernhaus!
© Sophie Marie Stein