Die erste Premiere der neuen Spielzeit 2021/22 steht ganz im…

About Tanja Christine Kuhn
Tanja Christine Kuhn ist dem Dortmunder Publikum bestens bekannt: Seit einem ersten Festengagement in der Spielzeit 2021/22 hat die junge deutsche Sopranistin immer wieder auf der Bühne des Opernhauses brilliert. In der aktuellen Saison 2024/25 gehört sie erneut zum festen Ensemble und ist daher in vielen Produktionen dieser Spielzeit zu erleben, von Don Giovanni über Die Fledermaus bis Götterdämmerung.
Liebe Tanja, wir treffen uns gerade mitten in deinem Gesangsmarathon: Gestern warst du Brünnhilde in Der Ring an einem Abend, heute Donna Elvira in Don Giovanni. Wie meisterst du die Herausforderungen, zwischen solch unterschiedlichen Partien zu wechseln?
Das ist in der Tat gar nicht so leicht. Man muss sich sehr weit im Vorhinein darauf vorbereiten. Stimmtechnisch stelle ich mich auf jede Partie anders ein. Alles dreht sich dabei um die „starke Basis“: Wenn man die beherrscht, dann kann man (fast) alles bewerkstelligen – auch wenn die Rollen teilweise sehr unterschiedlich sind.
Gestern hat es wahnsinnig gut funktioniert! Du hast in den letzten Jahren eine derart große Bandbreite an unterschiedlichen Partien gesungen, von Pamina über Senta bis hin zu Sancta Susanna. Wie hat sich das für dich ergeben?
Ich war eigentlich immer der Meinung, wenn man sich ein Repertoire wie das von Wagner oder Hindemith vornimmt, dann muss man auch Mozart „gesund“ singen können. Solange die Gräfin oder Elvira für mich gut zu bewerkstelligen sind, bin ich stimmtechnisch auf dem richtigen Weg. Wenn die Mozart-Partien nicht funktionieren, man sich aber trotzdem an so schwere wie Senta oder Brünnhilde heranwagt, ist das gefährlich für den Zustand der Stimme. Seltsamerweise hat meine Karriere mit Wagner erst richtig angefangen: Während meiner Studienzeit habe ich noch mit kleineren Rollen in allen möglichen Fächern kreuz und quer gastiert, um Erfahrungen zu sammeln, aber Senta in Der fliegende Holländer war eine meiner ersten großen Partien, die ich sogar an großen, internationalen Häusern wie dem Kroatischen Nationaltheater Zagreb oder dem Teatro Petruzzelli di Bari singen durfte. Das war ein anspruchsvoller Anfang, aber ich habe extrem viel daraus gelernt. Später durfte ich dann zwischendurch auch Mozart singen und habe mich unglaublich darüber gefreut, da mir dieses Repertoire einfach sehr gut tut.
Was war für dich die abenteuerlichste Rolle, die du bislang gesungen hast?
Als Heribert Germeshausen mir gesagt hat, dass er mich gerne Brünnhilde im Ring an einem Abend singen lassen würde, habe ich in der Tat gedacht: „Wie soll ich das nur machen? Diese Rolle ist doch viel zu schwer für mich!“ Aber es war eine ganz andere Erfahrung als ich erwartet hatte und sogar eine große Überraschung. Die Resonanz war so positiv, dass sich für mich jetzt ein Fach auftut, mit dem ich gar nicht gerechnet hatte. Im Nachhinein bin ich Heribert sehr dankbar für seine Idee und sein Vertrauen in mich.

Tanja Christine Kuhn als Gräfin Mariza in Kálmáns gleichnamiger Operette (© Anke Sundermeier).
Was ist in deinen Augen die gesanglich größere Herausforderung: Brünnhilde oder zeitgenössische Musik? Du bist ja auch auf diesem Gebiet durchaus bewandert …
Das sind absolut verschiedene Herausforderungen. Bei manchen Anfragen habe ich mir zunächst die Noten angeschaut und gedacht: „Oh wow, das wird echt viel Arbeit.“ Manchmal geht es in erster Linie „nur“ um die Töne und die rhythmischen Schwierigkeiten, bis man sich um die gestalterischen, stimmlichen Dinge kümmern kann. Ich bin ein schneller „Lerner“ bzw. es fällt mir leicht, mich einfach hinzusetzen und zu pauken, bis die Noten – und natürlich auch der Text – in meinem Kopf sind. Und auch wenn ich dann am Ende acht Stunden gesessen habe, so ist das in Ordnung für mich. Hindemiths Sancta Susanna oder August Ennas Kleopatra waren erstaunlich anspruchsvolle Partien. Das Schlimmste, was ich je lernen musste, war nicht etwa etwas Modernes, sondern überraschenderweise Tatjana in Eugen Onegin. Es hat eine Ewigkeit gedauert, bis ich die russische Diktion in den Griff bekommen habe. Ich habe dann sogar gelernt kyrillisch zu lesen, weil ich dachte, das könnte helfen. Vielleicht muss ich mal wieder testen, ob ich das noch beherrsche. (lacht) Dennoch war es eine tolle Erfahrung, Tatjana zu interpretieren, und auch das Russische ist wunderschön zu singen. Die Partie liegt traumhaft, aber bis man dort ist … uff. Umso größer war die Freude, nachdem ich diese Herausforderung erfolgreich bewältigt hatte!
Nicht nur das Singen, sondern auch die Schauspielerei liegt dir sehr. In unserem Don Giovanni musstest du eine Dame von ungefähr 60 Jahren spielen, obwohl du im wirklichen Leben eine anmutige junge Frau bist. Welche Art von Theater und Regiestil liegt dir persönlich mehr: abstrakt-modern oder klassisch-werkgetreu?
Das kommt ganz darauf an: Sowohl eine moderne als auch eine eher klassische Inszenierung können beide jeweils sehr berührend sein – oder aber sterbenslangweilig. Die äußere szenische Form ist dabei eigentlich zweitrangig. Es ist nicht so wichtig für mich, auf der Bühne „gut“ auszusehen. Viel wichtiger ist mir, dem Publikum durch meine jeweilige Darbietung etwas zu erzählen, womit es sich identifizieren oder worüber es nachdenken kann. Und selbstverständlich kann ich genauso dahinterstehen, wenn ich – wie zuletzt in Don Giovanni – eine feine ältere Dame spiele, die bedauert, dass ihre Jugendjahre vorbei sind, als wenn ich ein junges Mädchen verkörpere, das ganz andere Sorgen hat. Aber es ist auch viel interessanter, etwas darzustellen, was man im eigenen Alltag für gewöhnlich nicht erlebt. Natürlich möchte ich in meinem wirklichen Leben nicht – so wie meine Rolle Donna Elvira – darüber nachdenken, wie ich mich an einem Mann für meine erlittene Schmach rächen kann. Aber auf der Bühne freue ich mich über eine solche Gelegenheit, einmal in eine andere, fremde Perspektive zu schlüpfen und mich damit spielerisch auseinanderzusetzen. Das ist jedes Mal ein echtes Abenteuer.
Was ist die verrückteste Sache, die du je auf einer Bühne gemacht hast?
Jetzt musst du mich mal ganz kurz nachdenken lassen. Also, Philip Glass’ Orphée in Dessau war auf jeden Fall ziemlich heftig. Ich saß auf einer wirklich kleinen, schmalen Schaukel, 20 Meter über dem Boden und musste gleichzeitig singen. Das war purer Nervenkitzel! Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich schon einen sehr besonderen Beruf. (lacht)

Tanja Christine Kuhn als Rosalinde in Die Fledermaus (© Björn Hickmann).
Wenden wir uns nun einer anderen Facette dieses Berufes zu: Du singst bei uns an der Oper Dortmund nicht nur Wagner, nicht nur Mozart, sondern auch Operette. Nach Gräfin Mariza vor zwei Jahren verkörperst du in der aktuellen Saison Rosalinde in Die Fledermaus. Gibt es etwas, das dich an dem Genre Operette besonders fasziniert?
Wenn ja, dann vielleicht, dass es in der Operette noch weitere Ausdrucksmittel gibt als in der Oper – gesprochene Dialoge zum Beispiel! Diese Ebene mag ich besonders. Operette hat ihren ganz eigenen Witz, kann Sachen aufs Korn nehmen, über die man sonst gar nicht unbedingt lachen dürfte. Die Darstellerinnen und Darsteller müssen sprachlich unglaublich präzise sein, um über das oftmals wirklich groß besetzte Orchester zu kommen, damit das Publikum den (Wort-)Witz in der Musik auch sofort verstehen kann. Und dazu kommt schließlich auch noch der Tanz. Das alles zusammen ist schon einfach großartig!
Oper, Operette – das ist schon eine große Bandbreite. Gibt es vielleicht noch etwas, worin du dich als Sängerin gerne einmal bzw. noch weiter verwirklichen würdest?
Oja – Lieder, vor allem Orchesterlieder. Dieses Repertoire durfte ich z. B. gerade erst kürzlich mit Daniel Hope in der Elbphilharmonie aufführen. Das war wirklich ein Erlebnis.
Apropos spannende Bühnenerlebnisse: Letzten Sonntag standest du mit deinem Partner Carl Rumstadt, der als Einsenstein in unsere Fledermaus eingesprungen ist, gemeinsam auf der Bühne. Wie war das für dich?
Das ist einfach das Beste, was passieren kann! Wir haben tatsächlich immer mal wieder das Glück, zusammen auf der Bühne stehen zu dürfen. Das Ehepaar Rosalinde/Eisenstein haben wir auch in anderen Inszenierungen der Fledermaus schon dargestellt – wir waren da also schon eingespielt und das Ganze hat uns unheimlich viel Spaß gemacht.
Oper im Theater, Oper zu Hause … Wie lenkst du dich denn von der Arbeit ab?
Zu Hause geht es bei uns nicht nur um die Oper. Wir beide können unseren Beruf auch ganz gut im Theater lassen. All drama must remain on stage – das ist unser Lebensmotto. Es gibt so viele andere Sachen, die uns interessieren. Gutes Essen zum Beispiel, das verbinde ich gerne mit Reisen. Wein – da gibt es auch wahnsinnig viel zu wissen und zu lernen. Wir fahren zum Beispiel immer mal wieder an die Mosel, weil ich ein großer Fan des Moselrieslings bin. Außerdem lieben wir es, uns und unsere Gäste zu bekochen.
Zum Abschluss eine kleine Blitzfragerunde: Lieblingsort in der Oper Dortmund?
Ich würde jetzt spontan sagen: die Bühne.
Eine Dimension größer: Lieblingsort in Dortmund?
Der Zoo.
Oper oder Operette?
Beides. Unbedingt beides.
Und zuletzt: Beschreibe deinen Beruf mit drei Worten.
Oper ist Teamwork.
Die Fragen stellte Operndramaturg Nikita Dubov.
Foto-Header: © Jonas Eckstein (Das Foto wurde auf dem Dach der Elbphilharmonie Hamburg aufgenommen im Rahmen des Konzertes Ein Wintermärchen mit Katharina Thalbach, Daniel Hope u. a. im Dezember 2024.)