An der Oper Dortmund wird das Jahr 2024 mit einer…

„Man darf Margaret White nicht verurteilen!“
Ab dem 17. Mai ist es endlich soweit: Im Rahmen des partizipativen Projekts „We DO Opera!“ findet die Premiere von Carrie – Das Musical in der Regie von Alexander Becker im Dortmunder Operntreff statt. Zusammen mit den OpernYoungsters brilliert Musical-Profi Susanna Panzner auf der Bühne. Für unseren Opernhausblog hat Susanna über ihre außergewöhnliche künstlerische Vita sowie ihre Rolle als Margaret White gesprochen.
Liebe Susanna, Musicalfans kennen dich als eine der vielseitigsten Darstellerinnen der deutschen Musicalszene. Was aber vielleicht nicht jedem bekannt ist: Du warst lange Zeit fest an der Oper Dortmund engagiert. Kannst du uns etwas darüber erzählen?
Das war ziemlich verrückt. Meine erste Produktion war The Pirates of Penzance – damals hatte ich nur einen Spielzeitvertrag. Daraus wurde ein zweiter Vertrag, und dann kam John Dew als Intendant. Er wusste, dass ich neben dem Gesang auch eine klassische Ballettausbildung hatte, wurde auf mich aufmerksam und dachte, dass eine singende, spielende und tanzende Darstellerin in einem Mehrspartenhaus einfach praktisch sei. So bekam ich ein festes Engagement und blieb insgesamt neun Jahre in Dortmund. Am spannendsten waren natürlich die spartenübergreifenden Inszenierungen, wie zum Beispiel Anatevka, wo einige Mitglieder des Schauspielensembles zu uns kamen. Ich durfte auch im Schauspielhaus auftreten, sogar beim Ballett mittrainieren und habe unglaublich viel gelernt. Diese Zeit war einfach perfekt für mich, da ich alles ausprobieren konnte. Meine heutige Vielseitigkeit verdanke ich also auch ein bisschen meiner Zeit am Theater Dortmund.
Hattest du damals eine Lieblingsrolle?
Ach, die waren alle toll. Aber eine der größten spielerischen Kostbarkeiten für mich war die Evita, weil ich da mal wirklich so richtig „volles Rohr“ tanzen durfte. Es war eben nicht so, wie das oft gemacht wird: Die Sängerin steht vorne und singt, und hinten tanzt das Ballett. Nein, ich habe alles mitgetanzt, auch in den Szenen, in denen ich gesungen habe. Der Choreograf war damals Hardy Rudolz, mit dem ich inzwischen auch befreundet bin und der ein sehr renommierter Musicaldarsteller und Choreograf ist. Er hat einfach gesagt: „Wir probieren aus, was geht. Und wenn du dabei noch singen kannst: prima!“ Das hat einfach mega Spaß gemacht.

My Fair Lady in der Oper Dortmund: Susanna Panzner als Eliza mit KS Hannes Brock als Higgins (Andrea Kamp)
Und dann hast du dich für einen ganz anderen Weg entschieden …
Das war nicht meine Entscheidung. (lacht) Es war der Klassiker: Intendanzwechsel. Die neue Intendantin hatte ihre eigene künstlerische Vision – und so hat sich vieles im Theater verändert. Ich musste rasch eine neue Stelle finden. Glücklicherweise erhielt ich sofort ein Engagement bei Elisabeth in Essen. In dem Musical hatte ich schon direkt nach meinem Abschluss in Wien gespielt, also kannte ich mich damit ziemlich gut aus. Und deswegen haben sie mir auch gleich drei Rollen angeboten. Dann war ich quasi wieder mittendrin in diesem „New-Musical-Universum“. Eins hat zum anderen geführt, und so bin ich letztlich zu meiner endgültigen Sparte gekommen.
Tanz, klassischer Gesang und Musical-Belting gleichzeitig im Griff zu haben, das nenne ich eine Herausforderung!
Ich finde, dass das Wort „Musical“ oft total irreführend ist. Viele denken dabei sofort nur an Cats oder Das Phantom der Oper. Aber eigentlich ist Musical ein genauso weiter Begriff wie Oper. Nehmen wir einmal Glucks Orpheus und Schrekers Der ferne Klang – da liegen Welten dazwischen, sowohl in der Spielweise als auch in der Singtechnik. Und genauso ist es auch im Musical. Ich sage immer: Es ist Theater mit Spielen, Singen und Tanzen. Man muss immer 100 Prozent bringen – aber dann kommt es drauf an: Manchmal ist es 70 Prozent Singen, 30 Prozent Tanzen. Manchmal 50/50. Und es gibt Stücke wie Cats, da ist es wahrscheinlich eher 70 Prozent Tanz. Aber irgendwie braucht man immer von allem ein bisschen. Und es ist eben nicht so, dass man „nur“ Musical macht, wenn man nicht richtig tanzen oder nicht richtig singen kann. Im Gegenteil: Man muss versuchen, diese ganz unterschiedlichen Techniken wirklich miteinander zu verbinden.

Susanna Panzner als Cäcilia Weber in Mozart! – Das Musical (privat)
Das Musical Carrie ist einem breiten Publikum vielleicht nicht so bekannt wie das Buch oder die Verfilmung. In welcher Form hast du den Stoff zuerst kennengelernt und was war dein erster Eindruck davon?
Natürlich kannte ich Stephen King und den Plot, aber ich kann so etwas einfach nicht lesen oder anschauen – ich grusele mich zu sehr. Als Alexander Becker mir das Projekt vorschlug, habe ich gefragt: „Glaubst du wirklich, dass ich die Richtige bin, wo ich mich schon bei jeder Kleinigkeit erschrecke?“ Dann habe ich mir die Musik angehört und gedacht: „Du liebe Zeit, das ist ja klasse! Und ganz schön anspruchsvoll.“ Ich habe mich sofort in das Material verliebt.
Im Roman ist Margaret White eine absolut unerbittliche Fanatikerin. Aber im Musical besitzt sie auch ganz andere, menschlichere Seite. Wie legst du deine Margaret an? Und wie findest du dich in diese Rolle ein?
Ich finde es krass, wie oft sie „Ich liebe dich“ oder „Du bist mein Engel“ singt. Ihre Musik ist stellenweise so romantisch, dass es fast schon irreführend ist. Sie erliegt diesem religiösen Wahn und ist eine zutiefst gespaltene Persönlichkeit, die selbst gar nicht begreift, wie sehr das, was sie da tut, auf Carrie wirken muss. Das Wichtigste für mich als Darstellerin ist es aber, dass ich ihre Figur trotz alledem nicht verurteilen darf, denn nur so kann ich mich in sie hineinversetzen. Dieser Vorgang ist wie ein Kostüm, das ich anziehe. Ich muss schauen: Habe ich Parallelen zu dieser Frau? Wo habe ich Verständnis für sie? Denn da ist – bei allem vordergründige Wahn und Fanatismus – natürlich die Situation, dass sie wahrscheinlich von ihrem Mann vergewaltigt worden und in eine Art Sekte hineingeraten ist, wodurch sie selbst zum Opfer wurde. Wie schrecklich muss das sein? Ich glaube, man muss solche Gedanken wirklich zulassen und dieser Frau ein Stück weit verzeihen, damit man als Darstellerin in sie hineinschlüpfen kann. Gleichzeitig wollen wir dem Publikum aber auch zeigen, was passieren kann, wenn man nicht aufeinander achtet: Was sind die Folgen von sozialer Ausgrenzung? Warum rasten Kinder plötzlich aus? Und warum kommt es schlimmstenfalls sogar zu so etwas wie Amokläufen? Vielleicht geht das Publikum für solche Fragen sensibilisierter aus der Vorstellung heraus, als es diese zuvor betreten hat …
Unsere Inszenierung ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich für ein Musical: Wir zeigen Carrie als Kammerspiel, beim dem das Publikum ganz nah an der Bühne sitzen darf. Und außerdem präsentieren wir das Stück als Projekt unserer partizipativen Reihe We DO Opera!, weshalb es überwiegend von unseren OpernYoungsters gespielt wird. Wie gehst du damit um?
Also erst einmal muss ich sagen: Die Youngsters sind einfach unglaublich! Sie sind alle so begabt und strahlen so viel Spielfreude aus. Wenn ich sie bei den Proben sehe, habe ich umso mehr das Gefühl, Verantwortung zu tragen: gut mit ihnen umzugehen, ihnen Feedback zu geben und auch ein bisschen ein Vorbild zu sein, wie man arbeitet. Gerade bei unseren beiden Carries, Tabitha und Lisa, ist mir das besonders wichtig. Die Interaktion zwischen Mutter und Carrie ist in ihrer emotionalen Intensität auf der Bühne schon ziemlich grenzwertig. Unsere beiden Carries sollen dabei stets das Gefühl haben, dass sie sicher sind.

Susanna Panzner als Margaret White in Carrie – Das Musical © Björn Hickmann.
Was würdest du persönlich Carrie und Margaret White raten, wenn diese real wären?
Ich würde die beiden auf jeden Fall erstmal voneinander trennen. Das Kind einfach aus dieser toxischen Gefahrenzone herausholen, in einen sicheren Hafen bringen. Ohne Bibeln, ohne Kruzifixe, ohne Folterkammern. Wenn Carrie dann wieder bei sich ist, würde ich ihr klarmachen: Ihre Fähigkeiten bedeuten nichts Böses. Sie darf einfach leben und ein ganz normaler Mensch sein. Dann würde ich ihr erzählen, warum ihre Mutter so geworden ist – und dass sie das loslassen darf. Bei Margaret White würde ich einfach versuchen, ihr das Gefühl zu geben, dass sie ausatmen kann. Und dann, wenn sie mir wirklich zuhört und vertraut, würden wir zu einem sehr guten Psychotherapeuten gehen.
Headerfoto © Paul Georg Galke