Festakt mit NRW-Kulturministerin Christina Kampmann und der Vorstellung DER ROSENKAVALIER…
10 Dinge, die Sie über Im weißen Rössl wissen sollten
Über zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass das weiße Ross zuletzt durch die Kuhstraße in Dortmund galoppierte. Am 18. Januar 2020 ist es endlich soweit – die Kultoperette kommt in einer neuen Inszenierung von Thomas Enzinger und unter der Musikalischen Leitung von Philipp Armbruster zurück an die Oper Dortmund. Auch wenn die turbulente Geschichte ziemlich selbsterklärend ist, so gibt es doch einige interessante Details, die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen!
1) Das „Weiße Rössl“ in St. Wolfgang
Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist das Hotel „Im weißen Rössl“ am idyllischen Wolfgangsee im noch idyllischeren Salzkammergut. Dieser Sehnsuchtsort ist keine Erfindung der Autoren, sondern ganz real: der ursprüngliche Gasthof existiert seit 1878! Doch seitdem ist viel geschehen und nur noch wenig erinnert an das beschauliche Hotel, das man aus dem Film von 1960 mit Peter Alexander kennt. Heute wird es werbewirksam als 4 Sterne Romantik-Hotel mit 1.500 m² Wellness-Bereich angepriesen, das damit wirbt, den ersten schwimmenden Whirlpool der Welt zu besitzen. Statt des von der Rösslwirtin Josepha in der Operette schamlos angebotenen Paprikahuhns von gestern gibt es ein à la carte Romantik Restaurant mit Haubenküche, das „die perfekte Atmosphäre für elegante Dinner in gehobenem Ambiente mit Ausblick auf den idyllischen Wolfgangsee“ bietet.
2) Vom Lust- zum Singspiel
Als Vorlage für das erfolgreiche Musiktheaterstück, das in der Regie von Erik Charell am 8. November 1930 im Berliner Großen Schauspielhaus zur Uraufführung kam, diente das gleichnamige Lustspiel von Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg. Dieses Schauspiel war einige Jahre älter, es wurde erstmals am 30. Dezember 1897 im Lessingtheater in Berlin aufgeführt. Das Publikum johlte schon damals vor Begeisterung und so gab es innerhalb kürzester Zeit über 200 Vorstellungen allein in Berlin und gar hunderte im deutschsprachigen Raum. Diese Beliebtheit wollte sich Charell zu Nutze machen, als er später Hans Müller damit beauftragte, aus dem Lustspiel ein Singspiel zu machen. Dessen Aufgabe war es dabei, den Spagat zwischen Nostalgie und Modernität elegant zu bewältigen. Ein erster Hinweis ist schon die gewählte Gattungsbezeichnung: Das vielleicht bekannteste Singspiel ist Die Entführung aus dem Serail von Wolfgang Amadeus Mozart. Somit wird das Rössl zurückdatiert, man behauptet gar nicht erst, aktuell zu sein. Auf diese Weise wird ein Fantasieraum geöffnet, in dem alles möglich zu sein scheint. Dies ist im Lustspiel noch anders. Dessen Geschichte spielt eindeutig in der Realität und thematisiert noch viel stärker das harte Geschäft des Tourismus. Es gibt ein größeres Personal, so zum Beispiel den als Bettler verkleideten Zither-Spieler Loidl, der mit dieser Taktik bereits ein kleines Vermögen verdient hat. Diese Musiknummern versuchten möglichst volkstümlich zu sein. Das Singspiel geht da ganz anders vor, es zitiert höchstens Folkloristisches und betont vielmehr die eigene Künstlichkeit. plaza-escorts.com Dieses Spiel mit der Ironie macht zu einem Großteil den Witz und die Raffinesse des Weißen Rössl aus.
3) Ein Fünkchen Wahrheit
Bekanntlich schreibt das Leben selbst die besten Geschichten. Auch einige der kuriosen Begebenheiten im Rössl basieren auf realen Tatsachen, die die Autoren des Lustspiels selbst erlebt und sich zu Nutze gemacht haben. Geschrieben wurde es von Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg quasi am Ort des Geschehens, nämlich im Salzkammergut, genauer in der Villa Blumenthal in Bad Ischl. Das „Weiße Rössl“, das den Autoren als Inspiration diente, stand damals jedoch nicht in St. Wolfgang und hatte nicht einmal einen direkten Seezugang, sondern in der Nachbarortschaft Lauffen, zwischen Bad Ischl und Bad Goisern. In diesem Gasthof war Oskar Blumenthal Stammgast, ob er dort allerdings auch Lungenbraten von gestern bekommen hat (das Pendant zum Paprikahuhn in der Operette), ist nicht überliefert. Ebenso haben einige der Figuren historische Vorbilder: Den Kellner Leopold gab es wirklich, er war dareinst selbst als Piccolo in einem Ischler Hotel angestellt und hat sich mit der Zeit zum mehrfachen Hotelbesitzer emporgearbeitet. Außerdem soll dieser Kellner eine Cousine gehabt haben, die mit Nachnamen Vogelhuber hieß. Und auch die fesche Kathi hat es tatsächlich gegeben, glaubt man zumindest einer Geschichte von Oskar Blumenthal, der von einer Postzustellerin berichtete, die Briefe nur nach einer Legitimation durch den Ausweis ausstellte – vollkommen egal, ob sie die Person bereits kannte oder nicht. Die Figur des Wilhelm Giesecke könnte eine ironische Anspielung auf sich selbst sein, denn schließlich war Blumenthal ebenfalls Berliner und da er als böser Kritiker verschrien war, trug er den Spitznamen „Blutiger Oskar“.
4) Kein Ort wie jeder andere: die Villa Blumenthal
Der Ort, an dem das gleichnamige Schauspiel geschrieben wurde, ist schon ein Kuriosum an sich: Die Villa Blumenthal war eines der ersten Fertighäuser überhaupt, gebaut in Holztafelbauweise aus dem Holz der nordamerikanischen Pechkiefer. Ausgestellt wurde es erstmals auf der Weltausstellung 1893 in Chicago, bei der auch der Dramatiker Oskar Blumenthal zu Besuch war. Ihm gefiel das Haus so gut, dass er es nach der Ausstellung kaufte, es in seine Einzelteile zerlegen und von Chicago ins Salzkammergut transportieren ließ. Am Soleweg zwischen Hallstatt und Bad Ischl bei Engleithen wurde die Villa wieder aufgebaut und steht dort bis heute. Sowohl die Landschaft als auch das besondere Haus inspirierte Blumenthal 1896 dazu, gemeinsam mit Gustav Kadelburg Im weißen Rössl zu schreiben. Das Besondere an diesem Haus ist das Schindeldach sowie mehrere Veranden und Fenster mit hübschen geschnitzten Ornamenten – es ist bis heute eine Augenweide.
5) Gelungene Teamarbeit
Auch wenn die geflügelte Volksweisheit besagt, dass viele Köche den Brei verderben, so kann es doch auch immer wieder Momente geben, in denen auf diese Weise ein äußerst appetitliches Gericht entsteht. Das Programmheft der Rössl-Uraufführung 1930 verweist auf folgende Autoren: Libretto von Hans Müller, Musik von Ralph Benatzky, Einlagen von Bruno Granichstaedten und Robert Stolz, Gesangstexte von Robert Stolz, musikalische Arrangements der Texte von Adam Gelbtrunk, Regie von Erik Charell. Das ist schon eine ganze Menge Mitwirkender, und doch ist diese Liste nicht vollständig. Bereits über den Auslöser dieses Großprojekts gibt es verschiedene Informationen. In den meisten Büchern ist zu lesen, das Erik Charell, der 1920er-Jahre Revuekönig von Berlin, die Idee hatte, das Lustspiel in ein Singspiel umzuarbeiten. Sein Einfluss auf den gesamten Prozess ging wohl auch weit über den eines Produzenten hinaus – als solcher wird Charell oft bezeichnet. So entschied er durchaus, welche Musik wie verwendet werden sollte, verantwortete die Konzepte und leitete die Durchführung. Auch war er es, der Ralph Benatzky und die anderen Künstler ins Boot holte. In einem Brief an den Verlag Felix Bloch Erben betonte Charells Bruder Ludwig dessen Bedeutung für das Projekt:
„It was his [Erik Charells] oiginal idea and conception to make out of a small, plain comedy […] this great musical. Everything from the scenery to the dances, the shooplattler, the adaption of the whole house and theater and scenery are my brotherʼs ideas and invention […].“
Aus Hans Müllers Perspektive verlief die Anekdote, die zur ersten Rössl-Idee führte, etwas anders. Wolfgang Jansen beschreibt sie in einem Aufsatz anschaulich:
„Im Rahmen der Dreharbeiten zu Liebling der Götter, die in St. Wolfgang stattfanden, hatten sich Müller und Jannings auf die Terrasse des Hotels Zum Weißen Rössl zurückgezogen. Jannings, der zum Unverständnis des Kellners eine „Schorle“ bestellte, erinnerte Müller an eine ähnliche Dialogpassage im alten Lustspiel von Blumenthal und Kadelburg. Als Jannings, darauf aufmerksam gemacht, lachend begann, von der Rolle des Giesecke zu schwärmen, schlug Müller ihm eine neue Fassung vor, die den Giesecke ganz ins Zentrum stellte. Jannings war begeistert von der Idee, und auch der Berliner Revueproduzent Erik Charell, der mit ihnen zusammensaß, stellte in Aussicht, das Stück mit Jannings in der Hauptrolle zu inszenieren. Doch schon bald erkannte Müller in dem Lustspiel die Grundlage für eine Revue-Operette und schlug sie Charell für dessen Großes Schauspielhaus vor. Nachdem einige dramaturgische Bedenken ausgeräumt waren, „sprang Charell auf und schrie förmlich: ‚Ja, das ist die Sache, die ich suche, jetzt wird es ganz groß gemacht‘.““
Heute ist es vermutlich kaum mehr mit Sicherheit nachzuweisen, wer von den beiden nun zuerst die Idee hatte. Dass Müllers Œuvre mittlerweile allerdings so gut wie unbekannt ist, ist nicht gerechtfertigt. Neben seinen Theatertexten, darunter die beiden Libretti für Wolfgang Korngolds Opern Violanta sowie Das Wunder der Heliane, schrieb er Drehbücher v.a. für die Ufa. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verlor der jüdische Künstler alle seine Posten, man nahm ihn sogar in das Lexikon der Juden in der Musik (1940) auf und er emigrierte in die Schweiz. Das Weiße Rössl hat es seinem großen dramatischen Geschick zu verdanken, dass die Handlung des Singspiels gegenüber der des Lustspiels eine deutliche dramaturgische Zuspitzung erfuhr. So setzte Müller das ursprüngliche Nebenpaar Josepha und Leopold in den Vordergrund und fügte darüber hinaus den Kaiser ein, der wie eine Art Deus ex machina mit seinem „Es ist einmal im Leben so“ für einen melancholischen Abschluss sorgt.
Der österreichische Komponist Ralph Benatzky studierte – nachdem er bereits seinen Doktor in der Philosophie erworben hatte – sein musikalisches Handwerk bei niemand Geringerem als Antonín Dvořák sowie Felix Mottl. Seine Zusammenarbeit mit Erik Charell begann 1924 in Berlin, wo er diverse Revuen für das Große Schauspielhaus schuf. Das Weiße Rössl bildete nach Casanova und Die drei Musketiere den Abschluss der Trilogie der sogenannten „Historischen Revueoperetten“. Enge Zusammenarbeit verband ihn u. a. auch mit Zarah Leander, die seiner Hollywood-Parodieoperette Axel an der Himmelstür im Theater an der Wien ihre Berühmtheit verdankte. Nach seiner Emigration nach Amerika übersetzte er dort in erster Linie Texte ins Deutsche – so erlebte die Oper Porgy and Bess in seiner Übersetzung ihre deutsche Erstaufführung.
Für die Liedtexte zeichnete Robert Gilbert verantwortlich, der heute ähnlich in Vergessenheit geraten ist wie Müller. Der Berliner Schriftsteller, Sohn des populären Operettenkomponisten Jean Gilbert, verdiente vor allem durch das Dichten von Schlagertexten sein Geld; zu den berühmtesten zählen wohl „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh’n“ und „Das gibt‘s nur einmal, das kommt nicht wieder“ und nicht zuletzt „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen“. Neben dem Texten versuchte sich Gilbert hin und wieder auch als Komponist, doch die Nummer „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist“ aus dem Rössl ist als einzige ein Hit geworden. Auch Gilbert musste 1933 fliehen, er emigrierte über Wien nach Paris.
Mit Robert Stolz verband Gilbert über das Rössl hinaus eine längere Zusammenarbeit. Der österreichische Komponist schrieb selbst über 60 Operetten, für das Rössl steuerte er jedoch nur zwei Nummern bei: „Die ganze Welt ist himmelblau“ und „Mein Liebeslied muss ein Walzer sein“. Das Pikante daran ist, dass er dafür nur auf Honorarbasis entlohnt wurde, also ohne Beteiligung an den Gewinnen, und so nur einen verschwindenden Bruchteil vom Erfolg des Stückes für sich in Anspruch nehmen konnte.
Ebenfalls eine Einlage ist Leopolds Lied „Zuschau’n kann i net“ des Wiener Operettenkomponisten Bruno Granichstaedten. Auch dieser jüdische Künstler ist heute nahezu vergessen, obwohl er zu Lebzeiten mit Werken wie Der Orlow (1925), aufgeführt am Theater an der Wien, großen Erfolg verzeichnete.
Jazz-Pianist und Song-Komponist Adam Gelbtrunk war fester Korrepetitor am Großen Schauspielhaus in Berlin und wirkte während der Proben als Arrangeur der Tänze. Die gleiche Tätigkeit übernahm er ebenfalls bei der Charell-Produktion von Die lustige Witwe von Franz Lehár.
Zu guter Letzt gibt es noch einen Künstler, dessen Beteiligung am Rössl erst 1998 bekannt wurde: der mit Der Vetter aus Dingsda berühmt gewordene Operettenkomponist Eduard Künneke. Dies ergab sich vermutlich daraus, dass – wie Charell sehr zu beklagen hatte – „Herr Benatzky während der ganzen Vorbereitungen des Weißen Rössl durch persönliche Angelegenheiten verhindert war“. Mittlerweile ist es belegt, dass er die gesamte Orchestrierung des Singspiels übernommen hatte. Sehr wahrscheinlich ist es aber auch, dass einige Passagen gar originale Kompositionen von seiner Hand sind. Denn es ist stark davon auszugehen, dass er vor allem an den Abschnitten beteiligt war, bei denen noch in der Phase der Ausarbeitung von Inszenierung und Choreografie in die musikalische Textur eingegriffen werden musste. Dass es im Zuge einer Uraufführung während des Probenprozesses Anpassungen des Materials geben musste, ist bis heute üblich. Und da Benatzky selbst nicht anwesend war, musste ihn hierbei ein anderer Komponist vertreten – dies war wohl Künneke. Auf diese Weise verschwammen innerhalb des Produktionsprozesses die Grenzen der Autorenschaft wie vielleicht bei keinem anderen Werk. Und dennoch gibt der Erfolg des Rössl – bis heute! – dieser praxisorientierten Vorgehensweise recht!
6) Wenn es hier mal richtig regnet…
Fast zu jeder Zeit kämpften die Theaterschaffenden darum, das Publikum in ihre Häuser zu bekommen. Die Mittel, die sie dafür nutzten, haben sich bis heute eigentlich kaum geändert: Möglichst spektakulär sollte es sein! Dies galt bereits 1897, als das Schauspiel Im weißen Rössl im Berliner Lessingtheater uraufgeführt wurde. Bis heute sind begeisterte Kritiken erhalten, die von einem ganz besonderen Spezialeffekt schwärmen: Man ließ es im Theater regnen! Es „prasselte ein naßechter Regen […] auf die Bühne nieder“, schrieb die Vossische Zeitung, „die Personen mußten wirklich den Regenschirm aufspannen und man hatte das Vergnügen, sie wirklich naß werden zu sehen. Es geht nichts über den Realismus.“ Doch auch 33 Jahre später, bei der Uraufführung des Singspiels am 8. November 1930 im Berliner Großen Schauspielhaus, das einstmals von Max Reinhardt wenig bescheiden als „Theater der Fünftausend“ konzeptioniert wurde, ging es hoch her. Charell hatte keine Kosten und Mühen gescheut, um seinem Publikum einen famosen Kurzurlaub zu bescheren und ein möglichst authentisches Bild von St. Wolfgang zu kreieren. So ließ er die Fassade des Theaters nach Vorlage des berühmten Hotels verkleiden und dieses ganz im alpenländischen Stil einrichten. Statisten und Laiendarsteller_innen wurden in Trachten gesteckt und verbreiteten als „Einheimische“ österreichischen Charme. Und auch die Bühne ließ keine Wünsche offen, wie 1930 in einer Kritik im Berliner Börsen-Courier zu lesen war: „Das Große Schauspielhaus war zum erstenmal, seitdem darin die von Anreiz großer Publikumsmassen bestimmten Schau- und Unterhaltungskünste betrieben werden, als Raum restlos bewältigt. Die dekorativen Ideen Professor Sterns dienten einer Vollillusion des Salzkammerguts.“ Noch detaillierte wurde das Berliner Tagblatt: „Wenn im Kuhstall, mit künstlichen komischen Kühen sogar, sich plötzlich die Saxophonisten placieren und von allen Ecken her Girlkolonnen in die Szene marschieren, alles strahlend in Blau. Das ist wie ein Rausch aus Farbe, Licht und Bewegung.“ Die Kalkulation Charells, der während seiner Zeit als Assistant Stage Manager in New York einiges an Erfahrung gesammelt hatte, war aufgegangen. Die Menschen strömten ins Theater, um seine Show zu sehen und auch in London, Paris und New York verbuchte er damit große Erfolge. Selbst der spätere Film mit Johannes Heesters (1952) ist eine Charell-Produktion. Da er ganz nach Broadway-Manier der alleinige Rechteinhaber des kompletten Materials war, konnte Charell frei über die Verwertung bestimmen und so die verschiedenen Überarbeitungen initiieren.
7) Groß und klein, alt und neu – der Fassungs-Wust des Rössl
Seit 1952 kannte man nur eine Version des Weißen Rössl, die landauf, landab gespielt wurde und die auch niemand wirklich hinterfragte. Dies änderte sich jedoch 1994, als die Geschwister Pfister für die Bedürfnisse der Berliner „Bar jeder Vernunft“ eine kleine Fassung des Singspiels erstellten. Bei der Reduktion erinnerte man sich an die Uraufführung 1930 und stellte fest, dass das Notenmaterial damals eigentlich wesentlich jazziger geklungen haben müsste, als es heute gespielt wird. Doch leider galt das Aufführungsmaterial aus dieser Zeit als verloren, man vermutete, dass es dem Berliner Bombenhagel zum Opfer gefallen sein musste. 2008 geschah jedoch das unglaubliche Wunder und durch einen Zufall fand man besagtes Notenmaterial im Archiv der Musikverlag und Bühnenvertrieb Zürich AG. Gestempelt war es vom Opernhaus Zagreb, wo es noch 1932 gespielt worden war. Aufgrund dieses Fundes fertigten Matthias Grimminger (Klarinettist der Dortmunder Philharmoniker) und Henning Hagedorn unter Mitarbeit von Winfried Fechner mit großer Sorgfalt die bühnenpraktische Rekonstruktion der Originalfassung an, die ihre Premiere 2009 an der Staatsoperette Dresden feierte. Doch wie war es überhaupt geschehen, dass das beliebte Stück in der Versenkung verschwinden konnte? Nach der Machtergreifung wurde es von den Nationalsozialisten als „entartete Kunst“ verboten, zum einen aufgrund der teilweise doch recht eindeutig-zweideutigen Texte und Musiken, zum anderen aber auch, weil ein Großteil der Autoren Juden waren. 1950 entschied man sich jedoch dazu, den ursprünglichen Erfolg des Werkes wieder aufleben zu lassen, und so wurde der Komponist Bruno Uher beauftragt, eine neue Version einzurichten. Diese Fassung erlebte ihre Premiere am 26.10.1951 im Staatstheater am Gärtnerplatz. Bei seiner Orchestrierung orientierte sich Uher an den Entwicklungen in der Popular- und Tanzmusik und bemühte sich darum, dem vorherrschenden Zeitgeschmack gerecht zu werden. Dabei veränderte er die klangliche Textur, indem er zahlreiche stilistische Gegensätze eliminierte, die 1930 noch bewusst angelegt waren. Dieses homogenisierte Klangbild entsprach jedoch kaum mehr dem originären Erscheinungsbild des Werkes, und auch sämtliche frech-erotische Stellen, die vor allem auch durch die bewusste dramaturgische Einsetzung von Jazzelementen erreicht wurden, war verschwunden. Auf diese Weise verlor das Weiße Rössl einen Großteil seines ursprünglichen Reizes, und umso verdienstvoller ist die Rekonstruktion von Grimminger, Hagedorn und Fechner. Wir freuen uns, am Theater Dortmund für Sie nun die aufregende Ur-Version des Rössl spielen zu können und laden Sie dazu ein, bei Ihrem Besuch ganz besonders die Ohren zu spitzen!
8) Hemdhose statt Glühstrumpf
Im Weißen Rössl liegen die beiden Fabrikanten Giesecke und Sülzheimer im erbitterten Rechtsstreit: Beide haben eine Hemdhose auf den Markt gebracht – die eine vorne, die andere hinten zu knöpfen. Neben der unausweichlich sexuellen Konnotation dürfte dieser Streit dem Berliner Publikum der Uraufführung 1930 durchaus bekannt vorgekommen sein. Einige Jahre zuvor hatte der Österreicher Carl Auer den Glühstrumpf erfunden, der seit 1895 auch bei der Berliner Straßenbeleuchtung eingesetzt wurde. Bevor er diesen 1898 patentieren lassen konnte, kam es jedoch zu einer unschönen Auseinandersetzung mit der konkurrierenden Continental Gas-Glühlicht-Actien-Gesellschaft Meteor. Die schaltete in der Frankfurter Zeitung die nebenstehende Anzeige mit dem Titel „Gegen das unlautere Gebahren der Auer-Gesellschaft“ und warf der Konkurrenz eine massive Patentverletzung vor: „Die Auergesellschaft sucht das Publikum zu übervortheilen, indem sie die Apparate als unübertroffen hinstellt, und diese zu einem Preise dem Publikum darbietet, der den wirklichen Werth um 500 pCt. übersteigt.“ In Wahrheit war es jedoch genau anders herum, und Meteor verlor – ebenso wie Giesecke im Stück – den Streit. Die Firma ging kurz darauf bankrott und 1906 meldete Carl Freiherr Auer von Welsbach das Warenzeichen OSRAM an.
9) Ein musikalisches Schmankerl
Das Singspiel Im weißen Rössl lebt vom Lokalkolorit. Wie schon die Inszenierung der Uraufführung gezeigt hat, war es den Produzenten ein großes Anliegen, das Publikum ins Salzkammergut zu entführen. Dafür verwendete Benatzky an einigen Stellen ein Instrument, das eng mit der südlichen Region verbunden ist und dessen Klang eine anheimelnde Atmosphäre verbreitet: die Zither. Dieses folkloristische Zupfinstrument aus der Familie der Saiteninstrumente hat seine Vorläufer schon bei den antiken Griechen und ist in verschiedenen Kulturen auf der ganzen Welt verbreitet. Seinen Höhepunkt erlangte es als elementarer Bestandteil der alpenländischen Volksmusik, wo es zur Gestaltung der bäuerlichen Tanzmusik eingesetzt wurde und noch immer wird. Im Gegensatz zu einem Klavier war die Zither nicht so teuer, deswegen konnten sich auch nicht ganz so betuchte Familien eine leisten. Außerdem konnte man sie überall hin mitnehmen, da sie eine tragbare Größe hat. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Alpenländische Zither salonfähig und hielt auch in den Wohnzimmern des europäischen Bürgertums Einzug – allein in München gab es rund hundert Zitherclubs. Eine Zither besteht aus einem flachen Holzkasten mit einem Schallloch, über den viele Längssaiten gespannt sind. Zum Spielen stülpt man sich einen Metallring mit einem kleinen Dorn über den Daumen der rechten Hand und zupft damit die Saiten für die Melodie an. Mit den restlichen Fingern der rechten und linken Hand spielt man die Begleitung. Mit diesen lauschigen Klängen wird im Rössl das melancholische Heurigenlied untermalt, in welchem weinselig festgestellt wird:
„Erst wannʼs aus wird sein
Mit aner Musik und mitʼn Wein,
Dann packʼ ma die sieben Zwetschgen ein
Eher net!“
10) Zu Gast im Weißen Rössl
Neben Ensemblemitgliedern wie Irina Simmes, Fritz Steinbacher und Morgan Moody sowie dem den Ruhestand nicht ganz so wörtlich nehmenden Ks. Hannes Brock sind an der Produktion Im weißen Rössl einige Gäste beteiligt, die mit großer Spielfreude die charakterstarken Figuren auf unserer Bühne verkörpern.
Schwer verliebter Leopold: Matthias Störmer
Der junge österreiche Bariton Matthias Störmer scheint im Leopold eine seiner Paraderollen gefunden zu haben. Nachdem er den liebestollen Oberkellner bereits in Nürnberg und Regensburg spielte, scheinen ihm die Pointen nun geradezu auf den Leib geschneidert zu sein. In Kombination mit seinem herrlich authentischen Dialekt – er stammt aus Kärnten – legt er einen Charme zu Tage, der am Ende wohl nicht nur Josepha dahinschmelzen lassen wird …
Am Theater Regensburg feierte er jüngst sein Rollendebüt als Don Giovanni, weitere wichtige Rollendebüts waren u. a. Guglielmo (Così fan tutte), Papageno (Die Zauberflöte), Sharpless (Madama Butterfly) und Dandini (La Cenerentola).
Brummiger Wilhelm Giesecke: Steffen Schortie Scheumann
An der Oper Dortmund ist Steffen Schortie Scheumann kein Unbekannter: Er spielte bereits in der letzten Rössl-Produktion (2000-2008), war in der Fledermaus (2009) mit von der Partie und zuletzt im Dortmunder Schauspiel in der Odyssee (2000-2010) zu erleben. Die zweite Hälfte seiner Kindheit verbrachte der Dresdner in Preußen, darum kommt ihm der Berliner Dialekt wie von selbst über die Lippen. Somit ist er die Idealbesetzung für den ewig bärbeißigen Wilhelm Giesecke, der lieber nach Ahlbeck als an den Wolfgangsee gefahren wäre. Neben zahlreichen Theaterengagements wirkt Schortie Scheumann in Film- und Fernsehproduktionen mit, u. a. in Männerpension (Kino), Sonnenallee (Kino), The Grand Budapest Hotel (Kino), Tatort (ARD) und Polizeiruf (ARD), außerdem ist er regelmäßig als Sprecher für den Hörfunk tätig.
Freche Ottilie: Giulia Montanari
Die junge deutsch-italienische Sopranistin Giulia Montanari ist seit der Spielzeit 2019/20 Mitglied im Opernstudio NRW und steht nun im Weißen Rössl erstmals auf der Bühne der Oper Dortmund. Als Ottilie, die selbstbewusste Tochter von Wilhelm Giesecke, jongliert sie gekonnt mit dem Gemeckere des Vaters und den charmanten Avancen von Otto Siedler. Am Deutschen Nationaltheater Weimar debütierte sie in der Spielzeit 2017/18 als Papagena (Die Zauberflöte). In der Spielzeit 2018/19 war sie dort als Sandmännchen / Taumännchen (Hänsel und Gretel) und in der Uraufführung der Kinderoper Der Eisblumenwald von Jörn Arnecke in der Hauptrolle zu sehen.
Schüchternes Klärchen: Karen Müller
Karen Müller war bereits mehrfach an der Oper Dortmund zu erleben, sei es in Die Blume von Hawaii oder aktuell im Tanzensemble von Jekyll & Hyde. Im Weißen Rössl steht sie gleich in doppelter Funktion auf der Bühne: einerseits als steppendes St. Wolfgang-Mädel, andererseits als schüchternes, ja vielleicht sogar etwas verklemmt wirkendes Klärchen Hinzelmann, das mit ihrem Papa die Sommerfrische genießt.
2018/19 tourte Karen Müller als Dance-Captain, Swing und Cover Gianna mit der Welturaufführung des Musicals Wahnsinn! Das Musical. In den Sommern 2018/19 spielte sie in Hair in Bad Hersfeld.
Sparsamer Prof. Dr. Hinzelmann: Frank Voß
Der Schauspieler Frank Voß ist immer wieder auch im Operettenfach zu Gast. So war er an der Oper Dortmund bereits in Roxy und ihr Wunderteam zu sehen und war zwischen 1992 und 1995 im Schauspiel Dortmund engagiert. Der gebürtige Hamburger spielt den sparsamen – wenn nicht gar etwas geizigen – Prof. Dr. Hinzelmann, der der Welt auch ohne Geld sehr viel Schönes abgewinnen kann.
Neben seiner Theaterarbeit ist Frank Voß regelmäßig in Fernseh- und Werbeproduktionen zu sehen, u. a. in Alle Jahre wieder, Cobra 11, Danni Lowinski, SOKO Köln sowie Tatort Köln und Münster.
Braver Piccolo: Tomas Stitilis
An der Oper Dortmund stand Tomas Stitilis bereits in den Rollen Wunderkind/Cliff in Sunset Boulevard (2016/17) sowie A-Rab in West Side Story (2018/19) auf der Bühne und kehrt nun als tollpatschiger Kellner Gustl, genannt Piccolo, zurück. Diese Partie fordert von ihm große Spielfreude, ein hohes Tempo und den ein oder anderen Balanceakt. Dabei ist er immer eine wichtige Stütze für seinen Vorgesetzten Leopold, der vor lauter Verliebtheit schon mal den Überblick verlieren kann.
Titelbild: Anke Sundermeier
Sehnsuchtsort trifft es ganz gut. Der Wolfgangsee würde sich ganz fantastisch als Kulisse machen. Wir haben in St. Wolfgang ein Hotel gebucht. Im weißen Rössl hat uns sehr begeistert und inspiriert.