Krach machen – das möchte Max. Und dafür wird er…
10 Dinge, die Sie über Die Walküre wissen sollten
Endlich ist es soweit: Richard Wagners gigantische Tetralogie Der Ring des Nibelungen ist endlich in der Neuinszenierung von Peter Konwitschny (Bühne und Kostüme: Frank Philipp Schlößmann) und unter der Musikalischen Leitung von Gabriel Feltz zurück an der Oper Dortmund. Weil jeder Teil dieses Opern-Blockbusters (insgesamt dauert der gesamte Ring schließlich um die 16 Stunden) für sich stehend betrachtet werden soll, erfolgt die Inszenierung nicht in der ursprünglichen Reihenfolge (also beginnend mit dem Vorabend Das Rheingold), sondern startet mit dem Ersten Tag Die Walküre. Aus Wagners Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend könnte man heute mindestens eine Mini-Serie machen, so verstrickt und turbulent wie die Verhältnisse sind. Wer sich vorab mit ein paar Hintergrundinformationen versorgen möchte – auch mit Blick auf die folgenden Ring-Abende, die in den nächsten Jahren an der Oper Dortmund erarbeitet werden –, ist hier an der richtigen Stelle!
1) Wagner, Richard: Künstler mit Tendenz zum Größenwahn oder Universalgenie?
Was überschaubar anfing, wurde zu einem Lebensprojekt Ursprünglich hatte Wagner vorgehabt, „nur“ die bekannte Sage von Siegfrieds Tod zu einer Oper umzuarbeiten. Als er in diesem Zuge aber begann, immer tiefer in die Welt des Mythos rund um die Nibelungen einzusteigen, merkte er, dass er doch noch etwas weiter ausholen müsse, um die komplexen Verhältnisse wirklich erklären zu können. Nachdem er also das Textbuch zu Siegfrieds Tod geschrieben hatte (das er später in Götterdämmerung umbenannte), fing er an, sich in der Geschichte immer weiter nach vorne zu arbeiten und schrieb von hinten nach vorne Siegfried, Die Walküre und Das Rheingold. Den Kompositionsprozess startete er dann jedoch am Anfang, allerdings genau wissend, was im Verlauf der vier Stücke passieren würde. Dies half ihm dabei, das dichte Geflecht seiner (später so benannten) Leitmotive zu weben: Kurze charakteristische Melodien, die mit Gegenständen, Personen, Gefühlszuständen o. ä. verknüpft sind und so als eine Art akustischer Wegweiser fungieren. Auf diese Weise kann die Musik hintergründige Details verraten, die im gerade gesungenen Text (noch) nicht erzählt werden. Insgesamt dauerte die Arbeit am Ring des Nibelungen – mit Unterbrechungen – 26 Jahre, dabei entstanden rund 16 Stunden Oper.
2)Walküre wer?
Die neun Walküren sind einige der zahlreichen Kinder Wotans, des Göttervaters. Er hat sie gezeugt, um für ihn tote Helden vom Schlachtfeld einzusammeln und nach Walhall (siehe Punkt 3) zu bringen. Dafür treffen sie sich stets mit ihrer Ausbeute auf einem Felsplateau, dem Walkürenfelsen. Der Begriff „Wal“ wird von dem altnordischen Wort „valr“ abgeleitet, was die Leiche eines auf dem Schlachtfeld gefallenen Kriegers beschreibt. Es wird kombiniert mit einer Abwandlung des ebenfalls altnordischen Worts „kjósa“, was „erwählen“ bedeutet. Die Walküren sind also bereits in der nordischen Mythologie eine Art Totendämon, Zwischenwesen zwischen Menschen und Göttern. Nur Menschen, die bereits dem Tod geweiht sind, können sie sehen. In der Völuspá (Der Seherin Weissagung), einem Teil der Edda, werden die Walküren mit den Nornen (den Schicksalsgöttinnen) gleichgesetzt. Daher macht Wagner zumindest Brünnhilde zur Tochter seiner Norn Erda – ebenso seine Erfindung wie die Tatsache, dass Wotan sich eine Armee von Untoten rekrutiert. Der Göttervater nennt die Walküren seine „Wunschmädchen“ und zeigt uns dadurch an, dass die oft als wilde Amazonen dargestellten Frauen einzig dafür da sind, seine eigenen Wünsche zu erfüllen. Den Begriff fand Wagner im Kapitel zu den Walküren in Jacob Grimms Deutsche Mythologie. Grimm verwendet darin „ôskmeyjar“, was im altnordischen „Wunschmädchen“ bedeutet, als Synonym für die Walküren. Die Namen der neun Walküren sind – bis auf eine Ausnahme – allesamt Erfindung Richard Wagners und verweisen jeweils auf die Eigenschaften oder Fähigkeiten der Frauen: Schwertleite, „die ein Schwert führt“, ist eigentlich der mittelalterliche Begriff für den Ritterschlag. Ebenso ist Helmwige, „die im Helm Kämpfende“, eine Anspielung auf Initiationsrituale des Ritterepos. Gerhilde ist eine Kombination aus „ger“ (Speer) und „hild“ (Kampf), während Grimgerde auf den grimmigen, also grausamen Speer anspielt. Waltraute ist der Wal, also den gefallenen Kriegern zugeneigt. Ortlinde ist die Beste darin, Speerspitzen („Ort“) zu schwingen und Rossweiße reitet – wie kann es anders sein – auf einem weißen Pferd. Nicht ausgedacht hat er sich den Namen Siegrune, aber auch dieser passt in die Reihe, denn er bedeutet „Trägerin der siegbringenden Runen“.
Kleiner Fun Fact am Rande: Die Wikinger sahen in den Polarlichtern Walküren, die die gefallenen Krieger nach Walhall geleiten. In ihrer Vorstellung wurde das Mondlicht von den Rüstungen der Krieger reflektiert, die von den Walküren nach Walhalla gebracht wurden, wodurch das Farbenspiel am nächtlichen Himmel entstand.
3) Wo geht´s nach Walhall?
Ein ganz besonderer Ort, um den es sich immer wieder dreht, ist Walhall. Der Begriff, der wörtlich übersetzt so viel wie „Halle der Erschlagenen“ bedeutet, beschreibt in älteren Schriften ein großes mit Leichen übersätes Schlachtfeld, bewohnt von einem Totengott, dem die Walküren (übrigens viel mehr als nur die neun, die es bei Wagner gibt) die Leichen der Krieger („Einherier“ genannt) bringen. Der Begriff kommt jedoch ebenfalls in der altnordischen Mythologie vor. Im 10. Jahrhundert verstand man darunter nur einen kleinen Teil der himmlischen Gegend Asgard, in der die Paläste der Götter stehen. Wobei es „klein“ nicht wirklich trifft: Der Palast Walhall hat 45 Türen, die so breit sind, dass 800 gut trainierte Helden nebeneinander durchgehen können. Die Edda beschreibt, dass die Wände mit Speerschäften getäfelt sind. Die Walküren arbeiten hier als Schankmädchen und servieren den gefallenen Kriegern und ihrem Boss Wotan Bier und Wein. In seiner ersten Ring-Oper Das Rheingold erzählt Wagner, wie Wotan die Riesen Fasolt und Fafner damit beauftragt hat, ihm die Götterburg zu bauen. Am Ende dieses ersten Teils zieht er dann auch gemeinsam mit seinen Mit-Göttern und Mit-Göttinnen (und nach der Überwindung einiger Schwierigkeiten) über eine leuchtende Regenbogen-Brücke in seinen neuen Palast ein.
4) Was für ein Weib: Brünhilde
Die für unsere Oper wichtigste Walküre ist Brünnhilde. Ihr Name verrät uns, dass sie in der Brünne, also einem Brustpanzer kämpft. Seine Lieblingstochter zeugt Wotan mit der allwissenden Erdgöttin Erda – und dieser doppelte Eifersuchtsfaktor sorgt dafür, dass seine Frau Fricka sie besonders wenig leiden kann. Die Figur selbst hat Wagner relativ frei erfunden, er konnte jedoch auf einige Motive aus Mythologie und Historie zurückgreifen. In der skandinavischen Mythologie kennt man die kühne und starke Frau Brynhild, die allerdings weder Walküre noch Wotanskind ist. Auch im Nibelungenlied kommt sie zwar vor, wird aber zunehmend in den höfischen Kontext verlegt. In der von Jacob Grimm aufgezeichneten Völsunga Saga findet er zumindest die Schlachtjungfrau namens Sigrdrífa, die auf dem Berg Hindarfjall schläft und von Sigurđr erweckt wird. Sie wird darin mit Brynhild gleichgesetzt. Eine reale und bis heute bekannte Frau, die diesen Namen trug, war die Westgotenprinzessin Brunichildis, Gattin des fränkischen Königs Sigibert. Sie war eine herausragende Figur in der Geschichte des Merowingerreiches im 6./7. Jahrhundert und ihre Geschichte wurde selbst zum Inhalt einer Oper: Eigentlich sollte das Werk Frédégonde (1895), das Ernest Guiraud und Camille Saint-Saëns in Zusammenarbeit mit Paul Dukas geschrieben hatten, mit Brunhilda betitelt werden. Aber weil Wagners Walküre zu diesem Zeitpunkt bereits eine große Bekanntheit genoss, entschied man sich dann doch dafür, die Oper nach Brunichildis Kontrahentin Fredegunde zu benennen.
5) Wer oder was sind die Wälsungen?
Das Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde sind Wälsungen. Sie sind also die Kinder von Wälse – das ist Wotans Decknamen, unter dem er ein Techtelmechtel mit einer Menschenfrau hatte und aus dem eben die beiden Geschwister hervorgegangen sind. Der Name stammt aus der Völsunga-Saga und bedeutet „der Echte“. In der Edda sind die Völsungar ein Heldengeschlecht, das von Gott Odin abstammt, dessen Sohn Sigi König der Franken wurde und dessen Enkel Wals oder Wolsung hieß. Dessen Sohn wiederum ist der wackere Siegmund, der sterbliche Liebling seines unsterblichen Großvaters Odin. Dieser lebt als Werwolf im Wald – wobei das nichts mit den gruseligen Wesen in heutigen Horrorfilmen zu tun hat. Im Mythos ist ein Werwolf ein Mensch, der in eine Wolfshaut fährt und sich dadurch in einen Wolf verwandelt. In der Walküre erzählt uns Siegmund genau davon:
„Wolfe, der war mein Vater […]. Wehrlich und stark war Wolfe: der Feinde wuchsen ihm viel. Zum Jagen zog mit dem Jungen der Alte: von Hetze und Harst einst kehrten wir heim: – da lag das Wolfsnest leer. […] Geächtet floh der Alte mit mir; lange Jahre lebte der Junge mit Wolfe im wilden Wald: manche Jagd ward auf sie gemacht; doch mutig wehrte das Wolfspaar sich. […] Doch ward ich vom Vater versprengt; seine Spur verlor ich, je länger ich forschte: eines Wolfes Fell nur traf ich im Forst; leer lag das vor mir, den Vater fand ich nicht.“
Und als es Sieglinde genauer wissen möchte und nachfragt: „Doch nanntest du Wolfe den Vater?“, so antwortet Siegmund: „Ein Wolf war er feigen Füchsen! Doch dem so stolz strahlte das Auge, wie, Herrliche, hehr dir es strahlt, der war Wälse genannt.“
6) Wotans Auge
Er versucht es durch eine piratenähnliche Augenklappe zu kaschieren, aber dem Göttervater Wotan fehlt das linke Auge – doch das war nicht immer so. Als junger Mann machte er sich im wahrsten Sinne des Wortes auf, um die Welt zu erobern. Das gibt er auch unumwunden zu: „Als junger Liebe Lust mir verblich, verlangte nach Macht mein Mut, von jäher Wünsche Wüten gejagt, gewann ich mir die Welt.“ Doch das meint er nicht metaphorisch, er wollte sich tatsächlich die Herrschaft über die Welt sichern. Dafür ging er zu der sagenumwobenen Welt-Esche, die in der altnordischen Mythologie Yggdrasil heißt. Man glaubte, dass sie als Weltenbaum den gesamten Kosmos verkörpert. Sie hat drei große Wurzeln, von denen eine nach Jötunheim, dem Land der Riesen, wächst, die andere Wurzel nach Niflheim und die dritte Wurzel nach Asgard. Am Fuße Yggdrasils liegt die Quelle Urdbrunnen, an der die drei Nornen Urd (das Gewordene), Werdandi (das Werdende) und Skuld (was da kommen soll) das Schicksal der Menschen bestimmen. Wotan trank aus dieser Quelle, um Weisheit und die daraus resultierende Macht zu erlangen. Außerdem brach er einen Ast aus der Welt-Esche und formte daraus einen Speer, in den er Runenzeichen ritzte. Diese sollten seine eigenen Gesetze symbolisieren, denn er hatte vor, die Welt nicht durch Gewalt, sondern durch Verträge zu regieren. Als Gegenleistung musste er eines seiner Augen opfern. Um dieses körperliche Handicap auszugleichen, wird er – zumindest der Sage nach – immer von zwei treuen Raben begleitet, die für ihn den Überblick behalten.
7) Wer oder was ist ein Nibelung?
Nach ihm ist der gesamte Opernzyklus benannt: Der Ring des Nibelungen. Dieser Nibelung ist Alberich, ein frustrierter Zwerg, der im Rheingold der Liebe abschwört, um dafür den Ring und die Macht zu bekommen. Der Sage nach sind die Nibelungen (abgeleitet vom altnordischen Niflung, wie es auch in der Edda erwähnt wird) ein aus dem Norden stammendes Zwergengeschlecht. Der Begriff leitet sich wohl von dem mittelhochdeutschen Wort „nibelen“ ab, was so viel wie „nebelig“ bedeutet. Also ist der König Nibelung der Sohn des Nebels bzw. der Finsternis. Wagner leitet davon für seine Oper den Ort Nibelheim ab, in dem die Zwerge leben. Sie werden auch Alben genannt, besser noch Schwarzalben, denn sie schürfen das Gold in dunklen Stollen unter Tage. In Nibelheim ist alles voll „bleichen Nebel“, der nur von den feurigen Funken durchzogen wird, die von den Ambossen der Alben aufspringen – sie sind nämlich kunstvolle Schmiede. Hingegen im Nibelungenlied werden weder Nebel noch kleinwüchsige Männer erwähnt. Vielmehr berichtete es von tapferen Männern, die den Schatz aus einer Berghöhle herausgeschafft haben, vom Land und vom Schwert Nibelungs, sowie von den kühnen Nibelungen Schilbung und Nibelung, Söhne eines mächtigen Königs. Andere Quellen übersetzen das Wort „nifl“ eher mit „dunkel“ als mit „nebelig“. So wird auch in der Jüngeren Edda der Ort Niflheim (Dunkelheim) erwähnt, ein von Frostriesen bewohnter Ort im Norden, im Gegensatz zum Feuerreich (Muspelheim) des Südens. Nach anderer Erzählung ist Niflheim die tiefste Ebene der Germanischen Welt. Auf jeden Fall ist es eine lange und verschlungene Geschichte, in die es sich auf jeden Fall lohnt tiefer einzusteigen. Dabei hat Richard Wagner mit seiner so berühmt gewordenen Interpretation im Ring des Nibelungen sicherlich nicht zur Klärung beigetragen, da er sich stets nur bei Elementen des Mythos bedient hat und diese im Sinne seiner selbst geschriebenen Dichtung umgestaltete.
8) Wo ist der Ring?
Ganz prominent bestimmt er den Titel, der Ring, um den sich alles dreht. Er steht als Pars pro toto für den sagenumwobenen Nibelungenschatz, zu dem neben einer irrwitzigen Menge Gold auch eine Tarnkappe gehört. Alle wollen ihn haben, dabei bringt er seinem Besitzer (und auch seiner Besitzerin) eigentlich nur Elend und Leid, denn er wurde verflucht. Als roter Faden zieht er sich durch die ganze lange Geschichte der Tetralogie. Und dennoch taucht dieser Ring (und auch der gesamte Schatz) in der Walküre kein einziges Mal physisch auf. Ganz darauf verzichten müssen wir jedoch nicht, denn dank Wagners informativer Rückblenden, die er in alle seine Ring-Opern eingebaut hat, erfahren wir, was es damit auf sich hat. Wotan erzählt es uns:
„Den Nacht gebar, der bange Nibelung, Alberich, brach ihren Bund; er fluchte der Lieb’ und gewann durch den Fluch des Rheines glänzendes Gold, und mit ihm maßlose Macht. Den Ring, den er schuf, entriss ich ihm listig; doch nicht dem Rhein gab ich ihn zurück: mit ihm bezahlt’ ich Walhalls Zinnen, der Burg, die Riesen mir bauten, aus der ich der Welt nun gebot. Die Alles weiß, was einsten war, Erda, die weihlich weiseste Wala, riet mir ab von dem Ring.“
An dieser Stelle hätte Wotan eigentlich schon skeptisch werden sollen: Warum warnte die allwissende Erda ihn vor dem Ring? Sie warnt ihn, weil der Ring seinem Besitzer oder seiner Besitzerin nur Unheil bringt. Davon kann dann auch Wotan ein Liedchen singen, nachdem er sich den Ring unrechtmäßig verschafft hat:
„Ich berührte Alberichs Ring, gierig hielt ich das Gold! Der Fluch, den ich floh, nicht flieht er nun mich: Was ich liebe, muss ich verlassen, morden wen je ich minne, trügend verraten, wer mir traut!“
Doch Wotan braucht den Ring einfach zu dringend, denn nicht nur das Fortbestehen seiner schicken Götterburg hängt davon ab:
„Durch Alberichs Heer droht uns das Ende: Mit neidischem Grimm grollt mir der Nibelung. Doch scheu’ ich nun nicht seine nächtigen Schaaren, meine Helden schüfen mir Sieg. Nur wenn je den Ring zurück er gewänne, dann wäre Walhall verloren: der der Liebe fluchte, er allein nützte neidisch des Ringes Runen zu aller Edlen endloser Schmach. […] Sorgend sann ich nun selbst, den Ring dem Feind zu entreißen. Der Riesen einer, denen ich einst mit verfluchtem Gold den Fleiß vergalt: Fafner hütet den Hort, um den er den Bruder gefällt. Ihm müsst’ ich den Reif entringen, den selbst als Zoll ich ihm zahlte. Doch mit dem ich vertrug, ihn darf ich nicht treffen; machtlos vor ihm erläge mein Muth: Das sind die Bande, die mich binden: der durch Verträge ich Herr, den Verträgen bin ich nun Knecht.“
Das ist tatsächlich auch eines der großen Probleme von Wotan: Er muss sich an die von ihm selbst auferlegten Verträge halten, das zwingt ihn zu mehr oder weniger anständigem Handeln. Damit kann er allerdings seine Interessen nicht wirklich verfolgen, und so muss er sich Handlanger*innen erschaffen, die ihm beim Erreichen seiner Ziele helfen: In der Walküre sind das einerseits die Geschwister Siegmund und Sieglinde, die durch ihren Inzest Siegfried erschaffen, der später den Schatz an sich nehmen wird. Andererseits ist es aber auch Brünnhilde, die sich jedoch seinem Befehl widersetzt und die er daraufhin – obwohl in seinem heimlichen Sinne handelnd – bestrafen muss. Und wir erfahren auch schon in der Walküre, wo besagter Siegfried im nächsten, nach ihm benannten Opern-Teil, den machtvollen Ring finden wird. Die Walküren unterhalten sich nämlich darüber, und Siegrune berichtet: „Nach Osten weithin dehnt sich ein Wald: der Niblungen Hort entführte Fafner dorthin.“ Und Schwertleite antwortet darauf: „Wurmes-Gestalt schuf sich der Wilde: in einer Höhle hütet er Alberichs Reif!“ Wer den herrlich gruseligen Riesenwurm erleben möchte, muss sich Siegfried (Premiere am 20. Mai 2023) anschauen!
9) Wagner, sein König und die Walküre
Die Beziehung zwischen Richard Wagner und dem Märchenkönig Ludwig II. von Bayern war eine ganz besondere. Und sie begann zu einem Zeitpunkt, der nicht passender hätte sein können: Der Komponist war gerade hochverschuldet und hätte deswegen ins Gefängnis gehen müssen. So floh er vor seinen Gläubigern aus Wien (wo gerade seine Oper Tristan und Isolde geprobt worden war, die ihm eigentlich schnelles Geld hätte bringen sollen, aber aufgrund ihrer Unspielbarkeit vom Theater abgesagt worden war) nach München und lernte dort den jungen König kennen. Er muss zu dieser Zeit wohl wirklich verzweifelt gewesen sein, denn er äußerte gar: „Ich bin in keiner Katastrophe, sondern in der Entwicklung meines Endes begriffen.“ König Ludwig hatte mit frischen 18 Jahren soeben den Thron bestiegen und war schon seit einiger Zeit ein glühender Verehrer des sächsischen Komponisten. Sie beide verband wohl ein gewisser Hang zu Träumerei kombiniert mit einer lebhaften Fantasie. Und so hatte sich Ludwig schon als Prinz durchaus angesprochen gefühlt, als er im Vorwort zum Ring des Nibelungen Wagners wenig bescheiden formulierten Wunsch gelesen hatte, dass sich dieser einen finanzkräftigen Fürsten wünschen würde, der ihm bei seinen ambitionierten Plänen unterstützen würde. Und so nimmt er, nachdem er zum König avanciert ist, auch direkt Kontakt mit Wagner auf – natürlich nicht nur durch ein einfaches Telegramm, sondern mit Stil: Er lässt ihm von einem Gesandten einen kostbaren Rubin-Ring überbringen, verbunden mit der (zugegeben vielleicht etwas schwülstigen Nachricht): „So, wie dieser Stein glüht, so glüht mein Herz, den Tondichter des Lohengrin kennenzulernen.“ Wagner ist natürlich hellauf begeistert und bedankt sich überschwänglich beim König:
„Teurer, huldvoller König! Diese Tränen himmlischster Rührung sende ich Ihnen, um Ihnen zu sagen, dass nun die Wunder der Poesie wie eine göttliche Wirklichkeit in mein armes, liebesbedürftiges Leben getreten sind! – Und dieses Leben, sein letztes Dichten und Tönen gehört nun Ihnen.“
Nun steht einer persönlichen Begegnung nichts mehr im Wege, und die beiden Exzentriker freunden sich an. Ludwig zahlt Wagners Schulden und unterstützt ihn dabei, den Traum eines eigenen Festspielhauses wahr werden zu lassen. (Ein solches Bedürfnis dürfte ihm selbst nicht fremd gewesen sein, immerhin ließ er sich mit Neuschwanstein sein eigenes Märchenschloss bauen. Dem Komponisten verriet er gar in einem Brief über sein Bauvorhaben: „Auch Reminiszenzen aus Tannhäuser (Sängersaal mit Aussicht auf die Burg im Hintergrunde), aus Lohengrin (Burghof, offener Gang, Weg zur Kapelle) werden Sie dort finden“.) Nun wollte sich der König allerdings nicht so lange gedulden, bis das Bayreuther Festspielhaus fertiggestellt war, und ordnete einfach – König müsste man sein! – die Uraufführung der Walküre in seinem Nationaltheater am Münchner Hof an. Wagner versuchte vergeblich, dieses Unterfangen abzuwenden: Er wollte den Ring exklusiv und als Zyklus in seinem Festspielhaus zur Uraufführung bringen. Doch allzu vehement konnten seine Beschwerden natürlich nicht ausfallen, denn er war noch immer auf das Geld des Regenten angewiesen. Und so bekam Ludwig schließlich seinen Willen und konnte die allererste Aufführung der Walküre am 26. Juni 1870 in seinem Privattheater erleben. Wagner setzte zumindest ein Zeichen und verzichtete auf seine Anwesenheit bei diesem denkwürdigen Ereignis.
10) Willkommen: Zu Gast an der Oper Dortmund
Richard Wagner stellt immer ganz besondere Anforderungen an seine Sänger*innen, wie z. B. durch die Länge der Stücke und die Lautstärke des Orchesterapparates. Daher spezialisieren sich zumeist die Künstler*innen darauf, die über die erforderlichen physikalischen Fähigkeiten verfügen. Aus diesem Grund sind in der Walküre gleich vier Sänger*innen in Hauptrollen zu Gast an der Oper Dortmund und stellen sich den Herausforderungen, die ihre Partien ihnen bieten.
Von Wehwalt zu Siegmund: Daniel Frank
Der Schwede Daniel Frank gab sein Operndebüt 2009 an der Volksoper in Stockholm. Er erhielt mehrere Stipendien und Preise, darunter 2012 den Birgit Nilsson Award. Nach seinem Fachwechsel 2010 vom Bariton zum Tenor sang er u. a. 2013 die Titelpartie des Tannhäuser an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf. Mit letzterer gastierte er u. a. in Kolumbien, beim Hong Kong Arts Festival sowie in Prag. Er gastierte u. a. an der Nederlandse Reisopera, der Oper Göteborg, am Teatro comunale di Bologna, im Concertgebouw Amsterdam, am Badischen Staatstheater Karlsruhe, am Staatstheater Kassel sowie am Konzert Theater Bern. Er gibt als Siegmund sein Debüt an der Oper Dortmund und kehrt in den zukünftigen Spielzeiten in den übrigen Ring-Abenden zurück.
Liebevolle Sieglinde: Astrid Kessler
Astrid Kessler studierte an der Hochschule für Musik Nürnberg sowie in Berlin und Hannover. 2019/20 debütierte sie als Arabella in Leipzig und Zürich sowie als Ellen Orford (Peter Grimes) am Nationaltheater Mannheim, wo sie Mitglied im Ensemble ist. Als Preisträgerin des internationalen Meistersinger-Wettbewerbs Nürnberg im deutschen Fach überzeugte sie als Eva (Die Meistersinger von Nürnberg), Elisabeth (Tannhäuser) und als Sieglinde (Die Walküre). Gastengagements führten sie an die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf, die Wiener Volksoper sowie das New National Theatre in Tokio Sie ist als Sieglinde erstmals an der Oper Dortmund zu Gast und kehrt in der nächsten Spielzeit als Elsa (Lohengrin) hierher zurück.
Wotan gefangen zwischen Pflicht und Wunsch: Noel Bouley
Seit der Spielzeit 2020/21 ist Noel Bouley als freischaffender Sänger tätig und gab kürzlich einige wichtige Rollen- und Haus-Debüts: als Oberpriester des Dagon (Samson et Dalila) an der Washington National Opera, Ford (Falstaff) an der Oper Köln, in der Titelpartie von Der fliegende Holländer an der Oper Leipzig sowie als Wotan (Das Rheingold) und in Rigoletto am Theater Chemnitz. Zuvor war er von 2014/15 an als festes Ensemblemitglied an der Deutschen Oper Berlin. An der Oper Dortmund war er erstmals in der Eröffnungspremiere der Spielzeit 2021/22 zu hören, als er die Partie des Scarpia in Tosca interpretierte. In der nächsten Spielzeit singt er hier den Wanderer in Siegfried.
Wütende Fricka: Kai Rüütel
Kai Rüütel wurde in Estland geboren und studierte Musik zunächst in Tallinn, später am Koninklijk Conservatorium Den Haag sowie an der Akademie der Niederländischen Nationaloper in Amsterdam. Sie ist regelmäßig zu Gast auf internationalen Bühnen, u. a. Dutch National Opera in Amsterdam, Theater an der Wien, Teatro Real in Madrid, Vlaamse Opera, Gran Teatre del Liceu in Barcelona, Scottish Opera, Théâtre du Capitole in Toulouse und Dallas Opera. Ihr geplantes Debüt als Fricka (Die Walküre) / Waltraute (Götterdämmerung) mit dem London Philharmonic Orchestra und Vladimir Jurowski musste coronabedingt leider verschoben werden. Nun hat sie die Partie der Fricka erstmals in Dortmund gesungen.
Neben den zahlreichen Gästen, die in der Spielzeit 2021/22 erstmals an der Oper zu erleben waren, sind in den weiteren Hauptrollen zwei alte Bekannte zu erleben.
Die Walküre Brünnhilde: Stéphanie Müther
Stéphanie Müther war 2018/19 – 2021/22 Ensemblemitglied an der Oper Dortmund, sie wird jedoch zukünftig als regelmäßiger Gast weiterhin im Ruhrgebiet zu erleben sein. 2018 sang sie mit großem Erfolg ihren ersten kompletten Ring-Zyklus als Brünnhilde am Theater Chemnitz, ein Jahr später an der Biwako Hall in Otsu (Japan). An der Oper von Oviedo gastierte sie 2019 als Brünnhilde in einer Neuinszenierung von Götterdämmerung. 2020 hätte sie bei den Bayreuther Festspielen debütieren sollen. 2020/21 bereitete sie ihr Rollendebüt als Färberin (Die Frau ohne Schatten) vor. An der Oper Dortmund begeisterte sie zuletzt in der Titelpartie von Tosca; in der kommenden Spielzeit wird sie als Ortrud (Lohengrin) und Brünnhilde (Siegfried) hierher zurückkehren.
Hunding, der betrogene Ehemann: Denis Velev
Der Bass Denis Velev ist seit der Spielzeit 2018/19 Ensemblemitglied der Oper Dortmund. Er wurde 1992 in Bulgarien geboren, 2015 absolvierte er sein Studium an der Russischen Akademie für Theaterkunst und debütierte am Stanislavsky und Dachenko Theater in Moskau. Anschließend trat er dem Ensemble des Galina Vishnevskaya Opera Centre bei, wo er v. a. Partien der russischen Opernliteratur interpretierte. 2016 – 2018 war er Stipendiat der Körber Stiftung und damit Mitglied des Internationalen Opernstudios der Staatsoper Hamburg, wo er u. a. als Fasolt (Das Rheingold) auftrat. In seinem Stammhaus Dortmund gibt er sein Debüt als Hunding. In der kommenden Spielzeit wird er u. a. als Fafner in Siegfried zu erleben sein.
Titelbild: Thomas Jauck