7 Dinge über „Gräfin Mariza“, die Sie (vielleicht) noch nicht wussten

Pünktlich zur Vorweihnachtszeit feierte am 3. Dezember Gräfin Mariza Premiere an der Oper Dortmund. Abseits der typischen Operetten-Liebesgeschichte zwischen einem verarmten Grafen und einer schwerreichen Gräfin spiegelt Emmerich Kálmáns Genreklassiker insbesondere den Zeitgeist Anfang der 1920er-Jahre wider. Damit passt Gräfin Mariza ideal in die 20er-Jahre-Trilogie unserer Spielzeit 2022/23, die ferner komplettiert wird durch das Musical Cabaret sowie die Gala Roaring Oper(ett)a.

Thomas Enzinger, der dem Opernhaus Dortmund bereits zahlreiche Operetten-Erfolge beschert hat, eröffnet in seinem Regiekonzept eine bewusst überhöhte Bildsprache und arbeitet zugleich die gesellschaftskritischen Aspekte des Werkes heraus. An seiner Seite verantwortet Toto das opulente Bühnen- und Kostümbild sowie Evamaria Mayer die abwechslungsreiche Choreografie. Ein Fest für alle Operettenfans wie auch eine Chance, sich nochmal genauer mit diesem Kálmán-Klassiker auseinanderzusetzen. Hier kommen 7 Dinge über Gräfin Mariza, die Sie (vielleicht) noch nicht wussten:

1. Hubert Marischka

Hubert Marischka und Emmerich Kálmán im Jahr 1924 © public domain

Auch wenn der bis heute anhaltende Erfolg des Werkes in erster Linie Komponist Emmerich Kálmán sowie seinen beiden Librettisten Julius Brammer und Alfred Grünwald zugeschrieben wird, nahm eigentlich noch eine vierte Person entscheidenden Einfluss auf das Stück: Hubert Marischka. Als damaliger Publikumsliebling war dieser durch seine Verkörperung des Grafen Tassilo nicht nur darstellerischer Erfolgsgarant, sondern hatte ebenso Anteil an der grundsätzlichen Konzeption des Werkes. Mit seiner Hauptrolle als verarmter Graf konnte er sich zunächst keineswegs anfreunden. Ihm fehlten die Bravourszenen, in denen er gesanglich und auch auf der Geige glänzen konnte. So kam es, dass er den Librettisten von einer Idee berichtete, die er 1915 bereits in Béla Zerkovitz’ Finanzgenie improvisiert hatte – ein melancholischer ungarischer Graf in Amerika wird von seiner Geliebten mit einer Musik-Kapelle überrascht:

„Er hört die Heimatklänge, beginnt wehmütig ungarisch mitzusingen, reißt dann dem Primas die Geige aus der Hand, um selbst das Solo zu geigen. Dann beginnt er mit seiner Geliebten einen wilden Csárdás zu tanzen … Schreibt mir eine solche Szene, in der ich als Zaungast draußen sitzen muss, während drinnen im Schloss gefeiert wird!“

Brammer und Grünwald hörten auf Marischkas Worte und Kálmán komponierte dazu das Lied „Auch ich war einst ein feiner Csárdáskavalier“ – eine der bedeutendsten Musiknummern der Operettengeschichte. Doch nicht nur diese Schlüsselszene hat es Dank Marischka in das Werk geschafft, auch Tassilos erstes Auftrittslied „Grüß mir mein Wien“ wäre fast noch Kálmáns Strichen zum Opfer gefallen. Um den Komponisten vom Gegenteil zu überzeugen, soll Marischka in einer Probe folgenden, neu improvisierten Refrain-Gesang an Kálmán höchstselbst gerichtet haben:

„Streich mir doch nicht das Entreelied, das süße

Vom schönen Wien –

Streich nicht die Augen, die lachenden blauen

Sonst ist all’s hin – “         

Kálmán ließ sich überzeugen und lag damit goldrichtig. Bei der Uraufführung musste Marischka seine Sololieder etliche Male wiederholen, wobei die Vorstellung insgesamt über fünf Stunden dauerte. In der Gräfin Mariza-Verfilmung aus dem Jahr 1932 können wir Marischkas unvergleichliche Darstellung, seinen Gesangsstil sowie sein Geigenspiel auch heute noch bewundern.

2. Kálmáns Aberglaube

Margot Genet (Manja) © Anke Sundermeier

Die Wahrsagerin Manja hat in Gräfin Mariza letztlich nur eine kleine Nebenrolle, dennoch ist ihre Funktion im Finale des 1. Aktes dramaturgisch durchaus von großer Bedeutung. Ihre Prophezeiung bewegt Mariza nämlich dazu, ihrem Feierleben für vier Wochen zu entsagen sowie ihren bereits entlassenen Verwalter wieder einzustellen. Für den Handlungsverlauf wird dadurch erst das Potenzial für eine tiefgreifendere Liebesgeschichte zwischen Tassilo und Mariza ermöglicht. Dass die Wahrsagerin einen solch großen Eindruck bei der Gräfin hinterlässt, entlarvt die stolze Mariza freilich als abergläubische Person. Das ist wenig überraschend, denn auch Kálmán selbst war ein sehr abergläubischer Mensch. So erachtete er es beispielsweise als besonderen Glücksbringer, dass die Uraufführung der Gräfin Mariza in ein Schaltjahr fiel. Der 29. Februar 1924 sollte als Tag nach der Premiere in der Tat eine Reihe von umjubelten Kritiken für ihn bereithalten.

3. Komm mit nach Varasdin!

Fritz Steinbacher (Baron Kolomán Zsupán), Tänzer*innen © Anke Sundermeier

Zu den berühmtesten Musiknummern in Gräfin Mariza zählt das Duett „Komm mit nach Varasdin“, in dem der schrille Baron Kolomán Zsupán die wenig begeisterte Gräfin zu umwerben versucht. Zsupán eröffnet Mariza hierbei den Ort „Varasdin“ als Paradies, in der die ganze Welt noch „rot-weiß-grün“ sei. Die Ungarn-Referenzen sind in diesem Sinne nicht nur in Kálmáns Musik zu finden, sondern wurden von seinen Librettisten etwa durch besagte Nationalflaggen-Anspielung auch auf textlicher Ebene integriert. Die Stadt Varaždin ist hierbei ebenso ein persönlicher Bezugspunkt für den Komponisten, da dort Kálmáns Mutter geboren wurde. Allerdings gehörte Varaždin weder vor noch nach dem Ersten Weltkrieg zu Ungarn, sondern ist vielmehr ein Teil von Kroatien. Man sollte bei den Worten von Zsupán demnach Vorsicht walten lassen. – Im Regiekonzept von Thomas Enzinger wird er im dritten Akt passenderweise auch als Lügner demaskiert: So ist er nämlich gar kein Baron, sondern vielmehr ein gescheiterter Schauspieler.

4. Hei, Mariza!

Tanja Christine Kuhn (Gräfin Mariza) © Anke Sundermeier

Ungarische Worte wie „Eljen“, „Puszta“ oder „Tekintetes úr“ sind im Libretto immer wieder zu finden. Tassilo singt im zunehmend betrunkenen Zustand den zweiten Refrain in „Auch ich war einst ein feiner Csárdáskavalier“ sogar gänzlich auf Ungarisch. Korrekte Aussprache kann in dieser Operette folglich gern einmal zur Herausforderung werden. Dies betrifft im Übrigen sogar den Namen der Titelheldin selbst. Im heutigen Theaterbetrieb hat sich allgemein durchgesetzt, dass man Mariza auf dem a betont. Korrekt ist aber eher die Betonung auf dem i. Der beste Beleg findet sich hierbei in der Musik: So wählt Kálmán etwa im Finale des 2. Aktes beim Ausruf der Gräfin „Hei, Mariza!“ für die Silben „Ma“ und „za“ die unbetonten Taktzählzeiten 2 und 4, wodurch das „ri“ auf der starken Zählzeit 3 hervorgehoben wird. Ein weiteres Indiz stellt die Gräfin Mariza-Verfilmung aus dem Jahr 1932 dar, in der Uraufführungs-Tassilo Hubert Marischka zu sehen ist. Auch er betont an einer Stelle Mariza eindeutig auf dem i. Allerdings ist die Aussprache des Namens in diesem Film insgesamt sehr inkonsequent, wobei die Betonung auf dem a letztlich überwiegt.

5. Mit oder ohne Akzent?

Emmerich Kálmán und Charles Kalman © Wolfgang Dosch

Wenn wir bereits bei der Aussprache sind, lohnt es sich auch über die Schreibweise von Namen zu sprechen. Emmerich Kálmán wurde ursprünglich als Imre Koppstein geboren, änderte dies jedoch, um seine ungarische Herkunft zu betonen. Seinen heute berühmten Nachnamen schreibt man mit Akzenten auf dem a. Zu hören ist in der Dortmunder Spielfassung der Gräfin Mariza allerdings nicht ausschließlich Musik von Emmerich Kálmán, sondern ebenfalls eine Tanzeinlage, in welcher der Tabarin Step von Kálmáns Sohn Charles erklingt. Wie sein Vater war Charles nicht nur Komponist, sondern hatte zunächst auch einen anderen Geburtsnamen – Karl Emmerich Kálmán. Als die Familie Kálmán im Zuge des Nationalsozialismus in die USA emigrieren musste, änderte auch Kálmáns Sohn den Namen. Als Charles Kalman präferierte er nun die Schreibweise ohne Akzente auf dem a. Es ist demnach Vorsicht geboten bei der Setzung der Akzente, je nachdem von welchem der beiden Komponisten man spricht.

6. Einmal möchtʼ ich wieder tanzen

Janina Clark, James Atkins, Nathalie Gehrmann, Christian Meusel, Helena Sturm, Stephen Dole, Marlou Düster, Iván Keim (Tänzer*innen) © Anke Sundermeier

Wie in den meisten Produktionen von Thomas Enzinger, wird auch in der Gräfin Mariza wieder viel getanzt, wobei Choreografin Evamaria Mayer hierbei aus dem Vollen schöpft – von Stomp bis Michael Jackson. Die Tanzeuphorie in dieser Operette ist allerdings ebenso aus historischer Sicht begründet: In Deutschland galt während des Ersten Weltkriegs ein Tanzverbot, das erst mit dem Silvesterabend 1918 wieder aufgehoben wurde. Nach diesem Entzug brach in den 1920er-Jahren eine regelrechte Tanz-Manie aus, die sich auch in den Operetten der damaligen Zeit wiederfindet. Immer beliebter wurden die Tanzstile aus Amerika, denen sich auch Kálmán nicht verschloss. Am deutlichsten zeigt sich dies etwa in seiner Operette Die Herzogin von Chicago. Passend dazu wurde für die Tabarin-Szene im zweiten Akt eine spektakuläre Tanzeinlage konzipiert, in der ein Charleston aus ebenjenem Werk erklingt.

7. Zwei Geburtstage

Ks. Hannes Brock (Penižek) © Anke Sundermeier

Die Dortmunder Premiere der Gräfin Mariza wird im Jahr 2022 von zwei besonderen Jubiläen begleitet: Einerseits feiern wir in diesem Jahr Emmerich Kálmáns 140. Geburtstag, andererseits ebenso den Geburtstag eines noch lebenden Dortmunder Lokalhelden: Kammersänger Hannes Brock. Dieser wurde im November exakt halb so alt wie Kálmán – nämlich genau 70 Jahre. An Bühnenpräsenz hat er dabei jedoch nicht im Geringsten eingebüßt und bringt in der Rolle des Penižek das Dortmunder Publikum nach wie vor zum Lachen und Applaudieren.

This article was written by

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert