Aus der Froschperspektive

Der Schauspieler Steffen Schortie Scheumann ist dem breiten Publikum wohl vor allem durch seine Auftritte in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen bekannt. Doch das Dortmunder Publikum kennt ihn insbesondere durch seine Mitwirkung in vielen Operetteninszenierungen der vergangenen Jahre. Nun kehrt er als Frosch in Johann Straussʼ Die Fledermaus auf die Dortmunder Opernbühne zurück. Mit uns sprach er über seine Liebe zur Musik, das Glück des Vergessens und das menschliche Vergnügen, den eigenen Verstand zu benutzen.

Zur Person: Steffen Schortie Scheumann erhielt seine Ausbildung an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Seitdem war er an zahlreichen Theatern engagiert, so etwa am Deutschen Nationaltheater Weimar, Schauspiel Leipzig, Schauspiel Frankfurt/Oder, Schauspiel Frankfurt/Main, Schauspielhaus Graz, Schillertheater Berlin, Berliner Ensemble, Schauspielhaus Bochum und dem Düsseldorfer Schauspielhaus, ferner bei den Bad Hersfelder und Salzburger Festspielen sowie an der Deutschen Oper Berlin und der Staatsoper Hannover. Auch hat er in vielen Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt, so unter anderem in den Kinofilmen Männerpension (1995), Sonnenallee (1999), Grand Budapest Hotel (2014) und Traumfabrik (2019), außerdem in den ARD-Serien Tatort und Babylon Berlin. Darüber hinaus ist Steffen Scheumann regelmäßig als Sprecher für den Hörfunk aktiv.

Lieber Schortie, wie schön, dich in dieser Spielzeit wieder auf der Bühne mit dabei zu haben. Lass uns einmal gemeinsam rekapitulieren: In welchen Rollen durfte dich das Dortmunder Publikum bereits erleben?

Zunächst einmal möchte ich sagen, wie sehr auch ich mich darüber freue, wieder hier sein zu dürfen – denn die Oper Dortmund ist mir in den letzten Jahren zu so etwas wie einer zweiten künstlerischen Heimat geworden. Zu deiner Frage: Schon unter Schauspieldirektor Michael Gruner und unter der Vorgängerintendanz an der Oper stand ich wiederholt in Dortmund auf der Bühne. Unter der aktuellen Leitung von Heribert Germeshausen habe ich zuletzt den Wilhelm Giesecke in Im weißen Rössl, Njegus in Die lustige Witwe und Styx in Orpheus in der Unterwelt gespielt.

Steffen Schortie Scheumann als Wilhelm Giesecke in Im weißen Rössl © Anke Sundermeier

Doch du stehst ja keineswegs ausschließlich auf der Bühne, sondern auch sehr viel vor der Kamera. Was ist für dich der zentrale Unterschied zwischen den beiden Kunstformen Film und Theater?

Beim Drehen vor der Kamera, ob für das Fernsehen oder für das Kino, ist man wesentlich stärker den Anforderungen und Regeln eines übergeordneten „Marktes“ unterworfen. Nicht umsonst spricht man landläufig auch von der „Filmindustrie“. Der Film ist die jüngere, moderne Kunstform, die sich – dank heutiger Streaming-Dienste – jeder nach Hause holen kann. Das Theater aber ist eines der ältesten künstlerischen Ausdruckmittel, das Menschen bis heute im wahren Leben zusammenführt. Film- und Fernsehstudios sind Fabriken, in denen man sich als Schauspieler schnell wie ein Rädchen in einem großen Getriebe fühlen kann – Theater und Opernhäuser hingegen sind wie Manufakturen, in denen Menschen gemeinsam ein Kunstprodukt mit ihren eigenen Händen, ihren Körpern und ihren Stimmen leibhaftig herstellen.

Du hast mir einmal erzählt, dass es dir gerade das Musiktheater in besonderer Weise angetan hat. Warum ist das so?

Theater, klassische Musik und gerade die Oper sind ein letztes bestehendes Refugium für unsere Gesellschaft – denn wohl nicht von ungefähr steht die Hälfte aller Opernhäuser weltweit im deutschen Sprachraum. Schauspiel und Film sind natürlich ebenfalls wunderbar, aber die Musik geht einem nochmal ganz anders ans Herz, durchfließt Seele und Körper. Und die Oper – sowie ihre „kleine Schwester“ die Operette – sind in meinen Augen die tollste Erfindung, die die Kunst bislang hervorgebracht hat, denn sie erhebt uns zu etwas Höherem und stellt für mich eine direkte Verbindung zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen in uns her.

Steffen Schortie Scheumann als Styx in Orpheus in der Unterwelt © Björn Hickmann

In Hinrich Horstkottes Dortmunder Neuinszenierung von Die Fledermaus wirst du die Rolle des Gefängnisaufsehers Frosch verkörpern. Mit welchen besonderen Herausforderungen wirst du durch diese Rolle konfrontiert?

Der Frosch ist eine der dankbarsten Rollen überhaupt. Sie ist zwar nicht sehr groß und tritt erst gegen Ende der Operette, zu Beginn des letzten Aktes, in Erscheinung, aber alle im Publikum warten dann bereits auf ihn. Er ist der einzige ehrliche Alkoholiker unter lauter verlogenen Gelegenheitstrinkern und adressiert als solcher direkt das Publikum – er bricht also in bester Brecht’scher Manier die „Vierte Wand“ auf, um die Zuschauer mit ein paar (auch unangenehmen) Wahrheiten zu konfrontieren und ihnen einen Spiegel vorzuhalten.

Ich habe den Frosch bereits 2009 in einer Inszenierung von Olivier Tambosi und 2016 in einer Inszenierung von Martin G. Berger verkörpern dürfen. In beiden Fällen habe ich, zusammen mit Regie und Dramaturgie, eigene Monologe geschrieben, die für einige Menschen im Publikum ganz offenkundig nur schwer auszuhalten waren – denn kam es, wenn auch nur in vereinzelten Fällen, immer wieder vor, dass Zuschauer bei diesen demonstrativ und missmutig den Saal verlassen haben. Dabei geht es bei der Darstellung des Frosch keineswegs um die reine Provokation – das wäre platt und infantil. Es geht bei seinem Auftritt darum, den beiden vorausgegangenen Akten der Fledermaus – mit ihrer schwungvollen, erheiternden Musik – eine weitere, eine ernstere Facette hinzuzufügen, um damit nicht nur das Herz, sondern auch den Verstand des Publikums anzusprechen. Ganz nach dem Ausspruch Bertolt Brechts: „Das Denken gehört zu den größten Vergnügungen der Menschheit“. Es geht also bei seinem Auftritt vor allem darum, einen beabsichtigten und notwendigen Bruch zu der vorausgegangenen Walzerseligkeit herzustellen.

Ist es nicht schwer, hierfür den richtigen Tonfall zu finden?

Absolut. Und genau darin liegt für mich die größte Herausforderung, aber auch die größte Freude bei der Ausgestaltung dieser Rolle. Die Erwartungen des Publikums an den Frosch sind in aller Regel enorm, denn jeder im Saal erwartet von seinem Auftritt ein Feuerwerk an Geist, bösen Pointen und zwerchfellerschütternder Komik. Dabei kann genau diese, wie bei einem missglückten Witz, schnell ins Hintertreffen geraten. Wir kennen das: Wenn man einen Witz mit den Worten „jetzt wird es lustig“ ankündigt, folgt statt ausgelassenem, befreiendem Gelächter oftmals nur peinliches, berührtes Schweigen – denn ein guter Witz muss uns überraschend und völlig unvorbereitet treffen. Ein großer Druck für jeden Froschdarsteller, aber auch eine reizvolle Aufgabe, wie ich finde.

Beharrlich wurde die Operette immer wieder totgeredet. Doch von Berlin bis München, von Dresden bis Dortmund: die Operette boomt. Womit glaubst du hängt dieser aktuelle Trend zur sogenannten „leichten Muse“ zusammen?

In der Fledermaus singt das illegitime Liebespaar Alfred und Rosalinde bei seinem gemeinsamen Stelldichein: „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“ Ich denke, dass die Menschen auch deswegen ins Theater gehen, um ihre Alltagsprobleme ein wenig zu vergessen – und sei es auch nur für ein paar Stunden. Dieser Wunsch ist auch vollkommen legitim, wie ich finde, und Teil des kathartischen Effekts, der mit einem jeden Theater- oder Opernbesuch einhergehen sollte. Doch dürfen wir als Künstler das Publikum dabei nicht in falsche Sicherheit wiegen, sondern müssen ihm stets die Brüchigkeit dieser vorgespielten, künstlichen Idylle vor Augen führen. Das tun wir, indem wir in unserer Darstellung den darunterliegenden „Tanz auf dem Vulkan“, den „Spaziergang am Abgrund“ aufscheinen lassen; zwei Seiten von ein und derselben Medaille, die in der Operette wie in kaum einer anderen Kunstform miteinander verwoben sind. Statt „Ernst und Unterhaltung“ lass uns daher besser sagen „Ernst in der Unterhaltung“.

Von Dietrich Boenhoeffer stammt das vielzitierte Bonmot: „Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine von dem andern zu unterscheiden.“ Dem möchte ich mich, gerade im Hinblick auf die Operette, vollumfänglich anschließen. 

Vielen Dank für das Gespräch.

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