Rückschau Come & See Am 09. September stellte das Theater…
Regisseur Lukas Wachernig im Gespräch
Der österreichische Regisseur Lukas Wachernig inszeniert bereits zum zweiten Mal eine Uraufführung für die Junge Oper Dortmund. Nach der Cyber-Oper Instame in der Spielzeit 2023/24 folgt nun 2024/25 die Musiktheaterkomödie Marie-Antoinette oder Kuchen für alle! von Hauskomponist Marc L. Vogler, basierend auf dem gleichnamigen Schauspiel von Peter Jordan.
Nach einem Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien sowie diversen Regiehospitanzen und -assistenzen war Lukas Wachernig in den Spielzeiten 2014/15 bis 2020/21 als 1. Spielleiter am Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz engagiert. Seither arbeitet er als Regisseur und Autor spartenübergreifend im gesamten deutschsprachigen Raum. Seine Inszenierung von Eduard Künnekes Der Vetter aus Dingsda am Münchener Gärtnerplatztheater wurde in der Spielzeit 2020/21 von BR-Klassik mit dem „Operettenfrosch“ ausgezeichnet. Außerdem ist Lukas Wachernig Mitbegründer und Künstlerischer Leiter der „Wandelbühne“ im steirischen St. Lambrecht – ein Theaterkollektiv, das sich zum Ziel gesetzt hat, Theater vor allem einem jungen Publikum näher zu bringen. Mit uns sprach er über seinen Werdegang und seine Arbeit als Regisseur.
© Philine Hofmann
Was ist deine früheste Theatererfahrung, an die du dich erinnern kannst?
Das war ein Theaterbesuch im Kindergarten: Valerie und die Gute-Nacht-Schaukel. Ich erinnere mich besonders an die Szene, in der Valerie auf der titelgebenden Schaukel quer über die ganze Bühne flog. Das hat sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Diese Szene wirkte so riesig in meinem Kopf und das ganze Stück war sehr beeindruckend und märchenhaft inszeniert. Das hat mich ans Theater gefesselt, weil es so magisch war.
Wie ging es danach weiter mit deinem Theaterkonsum?
Schwierig. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, wo es kaum Theaterangebote gab. Später, in der fünften oder sechsten Klasse, gab es ein Schulprojekt mit einem Theaterregisseur. Wir konnten uns in verschiedenen Bereichen aktiv beteiligen: Kostüme, Bühnenbild, Orchester oder Schauspiel. Aus welchen Gründen auch immer wollte der Regisseur, dass ich den Prinzen in einer österreichischen Version von Rumpelstilzchen spiele. Das war der Moment, in dem ich wusste: „Ich muss unbedingt dranbleiben, mehr Theater machen und darf nichts dem Zufall überlassen.“
Viele, die im Theater gelandet sind, haben zunächst auf der Bühne angefangen, dann aber doch einen anderen Weg eingeschlagen. Warum bist du Regisseur geworden?
Weil mich keine Schauspielschule wollte. (lacht) Mein Interesse hat sich aber auch verschoben: Ich fand im Laufe der Zeit das Gesamtkonzept Inszenierung immer spannender; wie all die verschiedenen Elemente zusammenkommen, um am Ende ein Theaterstück zu erschaffen. Also habe ich Regiehospitanzen und -assistenzen gemacht, um den Betrieb besser kennenzulernen. So kam es, dass mich die Regie immer mehr fasziniert hat. Ich begann, mir Gedanken darüber zu machen, wie ich eine Szene inszenieren würde und was meine Sicht auf bestimmte Figuren ist.
Außerdem hat ein Regisseur deutlich mehr Gestaltungsfreiraum als ein einzelner Darsteller.
Auf jeden Fall! Als Regisseur habe ich einfach mehr Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen.
Und wenn es mit der Regiekarriere nicht geklappt hätte?
Dann hätte ich wahrscheinlich in der Requisite gearbeitet.
Spielrequisiten aus Marie-Antoinette oder Kuchen für alle! in 2D-Optik und Ölgemälde-Ästhetik
Das zeigt sich jedenfalls in Marie-Antoinette oder Kuchen für alle! Da hast du die Requisiten ja auch selbst entworfen. Liebst du es, Details zu gestalten?
Absolut. Alles, was für das Publikum optisch wahrnehmbar ist, muss stimmig sein. Ich finde es unvorstellbar, auf der Bühne etwas zu sehen, das nicht zur Inszenierung passt. Eine Zeitung beispielsweise darf nicht einfach nur eine Zeitung sein, weil die Szene gerade nach einer Zeitung verlangt. Auch eine Zeitung muss sich dem ganzheitlichen Inszenierungsstil anpassen. Jedes Detail muss stimmig sein, um die Atmosphäre des Stückes zu unterstützen.
Apropos Atmosphäre: Welche Rolle spielt Musik in deinem Leben?
Eine große Rolle. Ich habe schon früh den obligatorischen Blockflötenunterricht genossen und später Klavier gespielt, danach auch in einem Chor gesungen. Musik ist für mich ein direkter Weg, Emotionen auszudrücken.
Was hörst du in deiner Freizeit?
Eigentlich selten das, woran ich beruflich arbeite. Ich brauche den Kontrast, um frisch zu bleiben. Man isst ja auch nicht jeden Tag dasselbe zu Mittag. So ist es jedenfalls bei mir mit der Musik. Es gibt keine bestimmte Richtung, die ich höre – von Caterina Valente bis Deichkind ist alles dabei.
Letzte Spielzeit hast du bei uns die Cyber-Oper Instame inszeniert, die sich schon deutlich von Marie-Antoinette oder Kuchen für alle! unterscheidet. Was waren deine ersten Gedanken, als du gefragt wurdest, für diese Oper wiederzukommen?
Zuerst denkt man bei „Marie-Antoinette“ natürlich an ihre Hinrichtung. Und dann habe ich mich gefragt, ob das für ein junges Publikum überhaupt passend ist. Aber der Untertitel „Kuchen für alle!“ hat mich schnell erkennen lassen, dass es um andere Themen geht. Als ich dann das Libretto gelesen habe, war ich sehr froh, dass ich gefragt wurde, denn Komödie inszeniere ich sehr gerne. Es liegt mir auch persönlich, Situationen mit einem Augenzwinkern zu betrachten, um über den Ernst des Alltags hinwegzukommen. Schlussendlich tun die Figuren genau das. Aber eben in einer übertriebenen und überzeichneten Art. Das macht für mich Theater zu einem großen Teil aus – einen Kontrast zur Realität zu schaffen. Deswegen möchte ich die Realität auch nicht eins zu eins abgebildet sehen. Und eine Überhöhung sorgt bestenfalls dafür, dass das Publikum das eigene Hier und Jetzt mit einem Mal besser erkennen und die Vorstellung mit einem anderen Blick darauf verlassen kann.
Hattest du sofort eine Idee im Kopf, wie du dich dem Stück nähern möchtest?
Ja, einige Momente hatte ich sofort deutlich vor Augen. Es war klar, dass Situationen geschaffen werden müssen, die aus unserem eigenen Alltag gegriffen scheinen, um für das Publikum eine Brücke zu bauen. Denn wir bewegen uns in Marie-Antoinette ja in einer Welt, die von der unseren sehr weit entfernt ist. Wenn ich also in der ersten Szene etablieren möchte, dass es früher Morgen ist, muss ich mir überlegen, was die Figuren am frühen Morgen tun könnten. Vielleicht gibt es Tee oder Frühstück, vielleicht putzen sie sich die Zähne. Wie die Figuren das dann machen, entsteht aber in der Arbeit mit den Darstellenden.
Hat sich deine Herangehensweise verändert, nachdem die Musik dazugekommen ist?
Ja, die Musik hat viele Szenen noch klarer gemacht. Zum Beispiel erzählen sich Blicke oder Aktionen sehr gut durch die Musik. Dementsprechend muss die Musik auch von der Inszenierung – also der szenischen Umsetzung des Stückes auf der Bühne – „bedient“ werden. Text, Musik und Körperlichkeit müssen miteinander in Verbindung stehen, sonst bleiben sie ohne Bezug zueinander. Und das wäre sehr schade. Die Musik hat also meinen Blick auf das Stück nochmals verändert, ihn weiter geschärft und mich sogar inspiriert.
Hast du eine Lieblingsszene?
Ja, wenn Marie-Antoinette nach der versehentlichen Hinrichtung der Dubarry zurückkommt und ihren Mann in flagranti erwischt – eine überaus skurrile Situation, die der König äußerst ungeschickt versucht zu überspielen. Noch dazu sind beide von ihrem Tod nicht so betroffen, wie sie sein sollten. Aber wenn man 20 Jahre eingesperrt ist, kann sich schon ein „nach mir die Sintflut“-Gefühl einstellen. Den beiden ist mittlerweile alles egal.
Ihre königlichen Hoheiten Marie-Antoinette (Wendy Krikken) und Ludwig XVI. (Franz Schilling) mit dem Hauptakteur des Stückes: dem Kuchen! (Fotoshooting während der Probenphase) © Lukas Wachernig
Was bedeutet der Kuchen in der Inszenierung?
Der Kuchen symbolisiert das Festhalten an einer verklärten Vergangenheit. Aber letztlich zeigt sich, dass diese Vergangenheit nicht wiederhergestellt werden kann, auch wenn Cécile, die letzte Verbliebene des Dienstpersonals, schließlich noch ein altes Stück Kuchen im Keller findet. Weil der dort schon eine ganze Weile liegt, riecht er bereits entsprechend – vielleicht eine Metapher für all die Leichen, die den Weg der königlichen Hoheiten gepflastert haben. Und trotzdem werden Versuche angestellt, ihn zu essen, die verblassten Zeiten, in denen beide als regierendes Paar auf dem Thron saßen, wiederaufleben zu lassen – was natürlich nicht funktioniert …
Marie-Antoinette oder Kuchen für alle! ist für viele Schüler*innen wahrscheinlich die erste Opernerfahrung. Glaubst du, es ist ein guter Einstieg in diese Kunstform?
Ja, definitiv. Die Komposition ist sehr abwechslungsreich, geht durch unterschiedliche musikalische Stile und verarbeitet Zitate vieler verschiedener Komponisten. Deswegen bin ich mir sicher, dass alle damit etwas anfangen können. Außerdem war Marie-Antoinette in ihrer Zeit unseren heutigen Popstars nicht unähnlich – und so hat sie sich auch selbst verstanden. Von deren Attitüden ausgehend ist sicherlich auch bei einem heutigen Publikum ein gewisses Grundverständnis gegenüber den Figuren vorhanden.
Der Oper wird oft nachgesagt, dass sie zu elitär und wenig zugänglich sei, immer nur dieselben alten Stoffe spiele und dadurch ihr Publikum langsam aussterbe. Muss die Oper etwas tun, um für junges Publikum interessant zu bleiben?
Das ist eine sehr umfangreiche Frage. Zum einen finde ich es wichtig, Neues zu kreieren, zum anderen aber auch die Opernklassiker zu erhalten und weiterzuspielen. Theater sorgt auch für eine Art von Beständigkeit in der Gesellschaft. Nur muss die Oper einen Weg finden, diese Beständigkeit einem jungen Publikum zu vermitteln. Mein Wunsch wäre es, alte Opernstoffe für diese Zielgruppe aufzubereiten. Bei der Zauberflöte funktioniert das in vielen Fällen, warum also nicht auch für andere Werke?
Alles noch im Rahmen! Regisseur Lukas Wachernig und Bühnen- und Kostümbildnerin Dorothee Schumacher mit einer wichtigen Requisite, die erst ganz zum Schluss ihren Auftritt hat. © Katharina Schmitz
Zum Schluss noch eine Schnellfragerunde (die sich dem Lesenden erst dann gänzlich erschließt, sobald dieser eine Vorstellung von Marie-Antoinette oder Kuchen für alle! erlebt hat). – Marie oder Ludwig?
Marie.
Englische oder österreichische Freimaurer?
Österreichische.
Komödie oder Tragödie?
Tragödie.
Balkon oder Guillotine?
Guillotine.
Kuchen oder Macht?
Macht.
Vielen Dank für das Gespräch.