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Rock’n’Roll will never die: Das ewige Fifties-Revival
Der Rock’n’Roll ist in den 1950er-Jahren ein überraschend kurzlebiges Phänomen, aber mit Grease beginnt in den 1970ern sein bis heute nicht enden wollendes Revival.
„The day the music died“: Damit spielt Don McLean im Song „American Pie“ auf den 3. Februar 1959 an, jenen Tag, an dem mit Ritchie Valens, The Big Bopper und Buddy Holly gleich drei junge Rock’n’Roller mit vielversprechender Karriere einem Flugzeugabsturz zum Opfer fallen. Aber auch von dieser Tragödie abgesehen ist die Situation des Rock’n’Roll am Ende der 1950er-Jahre trist. Elvis Presley tritt 1958 seinen Militärdienst in Deutschland an – und damit bis auf Weiteres von der Showbühne ab. Jerry Lee Lewis erleidet 1958 einen Karriereknick aufgrund des Skandals um seine Heirat seiner minderjährigen Cousine. Auch Chuck Berry muss sich ab 1959 in Gerichtsprozessen wegen der Verführung Minderjähriger verantworten und Anfang der 1960er-Jahre eine Gefängnisstrafe antreten. Eddie Cochran stirbt 1960 in England bei einem Autounfall, der ebenfalls im Auto sitzende Gene Vincent überlebt schwer verletzt. Little Richard hat seit 1958 dem teuflischen Rock’n’Roll seit einem Erweckungserlebnis abgeschworen und lässt sich zum Prediger ausbilden. Und Bill Haley? Der taugt mit seinen 35 Jahren ohnehin kaum noch als Jugendidol. 1960 verabschiedet er sich aus dem Show-Business in den „Frühruhestand“.
Was 1954 mit Elvis’ ersten Aufnahmen aus den Sun Studios als große Sensation begann, scheint 1960 wie ein großes Strohfeuer schon verbrannt. Was kommt danach? Eine ganze Armada junger Bands aus Großbritannien wird in den 1960er-Jahren die Popmusik revolutionieren. Danach ist kommerziell, künstlerisch und kulturell nichts mehr wie vorher. Beatlemania ist ein nie zuvor gekanntes, globales Phänomen (und ein lukratives noch dazu), mit dem Album Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band 1967 erhebt die neue Popmusik darüber hinaus Anspruch darauf, auch künstlerisch ernst genommen zu werden, und das Festival Woodstock im Jahr 1969 ist eine mächtige Demonstration der Dominanz der neuen Jugendkultur.

Und doch macht sich um 1970 ein heftiger Phantomschmerz bemerkbar. Der Musikjournalist Nik Cohn schreibt in seinem Buch Pop From The Beginning, einem der frühesten Versuche einer regelrechten Pop-Geschichtsschreibung: „Der Pop ist kompliziert geworden: Das war unausweichlich, denn alles endet, nichts bleibt einfach. Der Pop hat sich in zwei Richtungen gespalten und ist sophisticated geworden. Der eine Teil hat jetzt Verstand, macht gute Musik. Der andere Teil ist reine Industrie, eine gelangweilte und langweilige Industrie wie alle anderen auch. Und zu beiden Teilen gibt es keine Helden mehr, keine echten Idole, keinen Superpop mehr.“
Der Popmusik scheint ihre Unschuld verloren gegangen zu sein. Im Bombast der immer größeren Konzerte, in den immer ausgefeilteren Arrangements der progressiven Rockmusik und angesichts des immer professioneller von den Medien vermittelten Star-Ruhms der Pop-Protagonisten vermissen viele Menschen genau wie Nik Cohn zunehmend die Unmittelbarkeit der Erfahrung. Eine Rückbesinnung auf die vermeintlich einfacher gestrickte Musik der 1950er und auf die unverstellte Begeisterung der Teenie-Fans für beinahe gleichaltrige Rock’n’Roll-Idole setzt ein. In New York entsteht im Laufe der 1970er-Jahre eine Szene von Bands wie den New York Dolls, den Ramones, Jonathan Richman & The Modern Lovers und Blondie, die auf die kompliziert-kunstvollen Experimente der Progressivrockbands pfeifen und sich am Drei-Akkord-Bubble-Gum-Pop der 1950er orientieren: die Urzelle des Punk. Denn war nicht Eddie Cochran mit seinen Drei-Akkord-Rock’n’Roll-Songs der Ur-Punk-Rocker? Und in Chicago bringt schließlich das Musical Grease 1971 nicht nur die Klänge, sondern mit seinen Figuren und seinem Plot auch den Zeitgeist der 1950er-Jahre zurück in die Popkultur. Das Fifties-Revival der 1970er-Jahre soll nie wieder enden. Simon Reynolds spricht in seinem Buch Retromania von 2012 von den „never ending Fifties“. Von American Graffiti (1973) über The Rocky Horror Picture Show (1975), Grease (1978 verfilmt) bis zu Zurück in die Zukunft (1986) rollt durch die Kinos eine Nostalgiewelle, die die Musik, Ästhetik und das Lebensgefühl der Jugend in den 1950ern zelebriert.
Ganz unvermittelt setzt dieses Revival der 1950er allerdings nicht ein. Wenn sie nicht gestorben waren, so musizierten die Rock’n’Roller im Windschatten der Beatlemania weiter, wenn auch mit kommerziell bescheidenerem Erfolg. Besonders Europa bleibt ein Refugium für sie. Dort können treue Fans ihre Idole in den 1960er-Jahren oft zum ersten Mal überhaupt live auf der Bühne erleben. Der 1962 eröffnete Star Club in Hamburg hat neben Beat-Bands stets auch zahlreiche Rock’n’Roll-Größen zu Gast, und sogar Bill Haley tourt wieder um die Welt.

Beim Woodstock-Festival spielt eine Band namens Sha Na Na, die mit reichlich Pomade im Haar alte Rock’n’Roll-Hits zum Besten gibt – neun Jahre später soll übrigens genau diese Band in der Verfilmung von Grease den National Band Stand begleiten. In Kanada findet im gleichen Jahr wie Woodstock das Toronto Rock and Roll Revivalstatt, ein Festival, das neben einer Garde altgedienter Rock’n’Roller als zugkräftigsten Namen John Lennon mit der Plastic Ono Band verpflichtet hat. Der Ex-Beatle macht aus seiner Bewunderung für seine alten Helden keinen Hehl. Und auch Elvis Presley läutet sein musikalisches Comeback 1968 mit einem TV-Konzert ein, bei dem er seine Fans mit Lederjacke und Hüftschwung auch mit den alten Hits auf die guten alten 1950er einschwört. Das Revival liegt in der Luft.
Simon Reynolds schildert, wie das Rock’n’Roll-Revival der 1970er zur Blaupause jeder Retro-Bewegung im Pop wird und das Grundgefühl zementiert, dass früher doch irgendwie alles besser, und wenn nicht besser, dann zumindest aber überschaubarer gewesen sei. Ach ja: Der eingangs zitierte Song „American Pie“ stammt übrigens ebenfalls aus dem Jahr 1971 …
Peter Klose
Beitragsbild: Elvis, der King des Rock ’n’ Roll © Bettman
