Ein interstellarer Spaß

Ein interstellarer Spaß

Ein äußerst seriöses Interview mit Franz Schilling, Space-Lawyer und Bariton der Jungen Oper Dortmund, zu drängenden juristischen Fragen in Pierangelo Valtinonis neuer Familienoper Die Reise zu Planet 9.

Die Menschen an unserer Oper haben meist mehrere Talente – so auch du, lieber Franz! Angestellt bist du hier als Bariton im Ensemble der Jungen Oper Dortmund. Aber du hattest dein Leben nicht immer dem Gesang verschrieben.

Richtig. Früher habe ich Jura studiert und dann als Jurist gearbeitet.

Aber nicht nur als „irgendein“ Jurist – du hast dich auf Weltraumrecht spezialisiert. Wie kamst du dazu?

Ich habe zuerst einen Master in internationalem Völkerrecht gemacht und dann eine These über Weltraumrecht geschrieben. In der ging es um den heute noch theoretischen, morgen aber vielleicht schon sehr praktischen Ressourcenabbau im Weltall. Ganz konkret: Darf eine Nation oder eine private Firma auf einem anderen Planeten Ressourcen abbauen und für sich nutzen? Manche Länder machen das bereits. Des Weiteren habe ich mich in meiner Freizeit mit Weltraumschrott beschäftigt. Immerhin gibt es viele Tausend Satelliten im Weltall – die müssen gemanagt werden. Und wenn einer mal kaputt geht, was passiert dann mit den Trümmern? Aber wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich Weltraumrecht vor allem wegen des Titels studiert: Ich darf mich nämlich jetzt „Space-Lawyer“ nennen.

Ich gebe zu, das hat einen guten Klang! Nun ist es ja so: Am 20. März feiert im Opernhaus Die Reise zu Planet 9 Premiere. Uns ist ganz wichtig, dass die Erzählung auch juristisch akkurat ist – insbesondere bei einer Kinderoper. Deswegen möchte ich in diesem Interview ein paar Dingen noch einmal genauer auf den Grund gehen. Die Oper von Komponist Pierangelo Valtinoni beginnt auf der Erde an einem Ort namens Abholzhausen. Wie der Name vermuten lässt, sieht es dort nicht mehr so rosig aus: Es herrschen Kriege, Pandemien, der Klimawandel. König Krax wächst das alles über den Kopf. Sein Cheferfinder Megapfiffikuss überredet ihn dazu, alles hinter sich zu lassen und mit einer durch Steuergelder finanzierten Rakete ins Weltall abzuhauen. Darf König Krax sich einfach so davonmachen?

Erstmal darf jeder alles – die Frage ist, ob man mit den Konsequenzen leben kann. Was wären also die Konsequenzen für Seine Hoheit? Schauen wir uns mal die Rechtsgrundlage an: Er ist Alleinherrscher über die Erde oder über Abholzhausen – jedenfalls ist die Existenz einer anderen Nation auf dem Planeten nicht bekannt. Es gibt also keine internationale Gesetzgebung. Das Einzige, woran Krax sich halten muss, wären seine eigene Verfassung, seine eigenen Gesetze oder Verordnungen. Rechtlich ist er also nicht angreifbar.

Aber er kann doch trotzdem nicht einfach machen, was er will! Immerhin trägt er Verantwortung für sein Volk; und seine Tochter, Prinzessin Lunatick, kritisiert sein Verhalten auch.

Da müssen wir exakt sein und uns nicht von Gefühlen leiten lassen. Prinzessin Lunatick sagt, dass er alle in die Pleite reißt, der König zu seinem eigenen Vorteil handelt und das Volk fordert seinen Rücktritt. Gehen wir das einzeln durch: Ob der König alle in die Pleite reißt, muss ein Finanzexperte sagen. Da Krax ein absolutistischer Alleinherrscher ist, gibt es keinen legalen Weg für sein Volk, die Rücktrittsforderung umzusetzen. Aber sie können ihn natürlich trotzdem politisch unter Druck setzen. Wenn er schlau wäre, würde er seinen Flug ins Weltall nutzen, um ein paar Ressourcen zurück auf die Erde zu bringen. Sollte er ansonsten noch Rechtshilfe benötigen, kann er sich gern bei mir melden.

Ich gebe das weiter. Erstmal hinterlässt Krax durch seinen Raketenflug aber noch ein bisschen mehr Weltraumschrott.

Auch das darf er, aber natürlich kann das zu einem Problem werden. Wenn die Rakete einen Satelliten trifft und ihn zertrümmert, verlässt er seine geplante Umlaufbahn und kann dann im schlimmsten Fall andere Satelliten beschädigen. Damit beginnt ein gefährlicher Domino-Effekt.

Also im schlimmsten Fall kein Free-TV mehr für die Bewohner*innen von Abholzhausen.

Das wäre dramatisch. Dann müsste man ja wieder ins Theater gehen.

Impression des Bühnenbildes von Die Reise zu Planet 9 (Stand 06.03.) © Dramaturgie

Jedenfalls sind König Krax, Megapfiffikuss und Prinzessin Lunatick, die kurzerhand mit den beiden mitgeflogen ist, nun im All und haben Glück: Sie finden sofort einen Planeten zum Landen. Das ist der sogenannte Planet 9. Seine Oberfläche glänzt golden und verspricht großen Reichtum. Dürfen sie sich diesen Reichtum einfach nehmen?

Endlich sind wir in meinem Fachgebiet! Der Weltraumvertrag von 1967 sagt, dass man das Land eines fremden Planeten nicht zum eigenen Territorium erklären darf. Aber er lässt offen, ob man sich beispielsweise an seinen Bodenschätzen bedienen darf. Man könnte es so handhaben wie das Fischen im offenen Meer, bzw. in internationalen Gewässern. Das Gebiet mag einem nicht gehören, aber fischen darf man dennoch. So könnte Krax auch auf Planet 9 argumentieren. Aber ich sehe da noch ein ganz anderes Problem: Es kostet momentan ca. 12.000 €, um ein Kilogramm von der Erde ins Weltall zu befördern und umgekehrt. Was man also mit zurückbringt, muss sich schon enorm lohnen. Und da die Abholzhausener*innen sich in einer finanziell prekären Lage befinden, wird eine Ressourcenüberführung schwer umzusetzen sein.

Hinzu kommt, dass der Planet 9 von den Ninurianer*innen bewohnt ist. Dieses Volk wird ebenfalls von einem Herrscherhaus geführt: von König Quyobo, Königin Ikuma und Prinz Quyokuma. Unabhängig davon, ob es finanziell machbar ist, sich jetzt trotzdem noch an den Ressourcen zu bedienen, wäre doch ziemlich unmoralisch.

Moral und Recht sind zwei verschiedene Dinge, die sich nicht verwaschen sollten. Zum einen: Natürlich könnte er nett fragen, bevor er sich etwas nimmt. Zum anderen würde es mich wundern, wenn die Ninurianer*innen kein eigenes Rechtssystem hätten, das diesen Fall regelt. Wenn Planet 9 ein anerkannter Staat mit den drei Komponenten der Staatsform ist – Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt –, dann muss König Krax das respektieren und anerkennen.

Zu Beginn können sich die beiden Herrscherhäuser darüber gar nicht austauschen – sie sprechen andere Sprachen. Und dann werden König Krax, Prinzessin Lunatick und Megapfiffikus auch direkt unterjocht. Königin Ikuma hat eine Kraft, die sich Maghassa nennt. Damit macht sie die drei bewegungsunfähig. Sie und ihr Mann besprechen sich nun, was sie mit ihnen machen sollen: sie zum Beispiel kochen oder zu Topflappen verarbeiten. Was sagt denn das Völkerrecht zu einer solchen Behandlung?

Also ich kenne keine internationale Gesetzgebung, die das Verarbeiten eines Erdlings zu einem Topflappen untersagen würde. Man könnte sich an der Stelle aber auch auf die Anti-Folter-Konvention von 1984 berufen. Soweit ich weiß, hat König Krax diese aber nicht unterzeichnet.

Nun ist die Situation auf dem Planeten 9 noch ein bisschen komplizierter. Die Erdlinge sind nämlich an einem ganz besonderen Tag dort gelandet: am Kindertag. An diesem Tag müssen die Eltern das tun, was ihre Kinder sich wünschen. Prinz Quyokuma möchte nicht, dass seine Eltern den Erdlingen etwas antun, erlaubt ihnen aber, sie als Haustiere zu halten, was eine grobe Verletzung des Artikel 1 des Grundgesetzes ist.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Der Artikel ist nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gültig. Aber man könnte natürlich einen Blick in die Verfassung auf Planet 9 werfen – vielleicht kann der Papagei Oropax mir bei Gelegenheit die Übersetzung zukommen lassen.

Impression des Papageien Oropax aus Die Reise zu Planet 9 (Stand 06.03.) © Dramaturgie

Prinzessin Lunatick kann entkommen und landet im Verlauf des Stückes auf der anderen Seite des Planeten 9. Dort lebt ein Wesen, das auch die anderen noch nicht kennen: Florimonda. Sie ist die Natur, die Liebe und gelebte Vielfalt in einem – und damit der eigentliche „Schatz“ von Planet 9. Die Prinzessin und der Prinz verlieben sich ineinander und bringen auch die beiden Herrscherhäuser zueinander. Aber dann tötet Megapfiffikus Lunatick, weil er den Schatz für sich allein behalten möchte. Ich denke, wir können uns darauf einigen, dass töten nicht okay ist?

Ich verweigere mich dieser permanenten Forderung nach ethisch-moralischer Bewertung – ich bin Space-Lawyer!

Entschuldigung.

Florimonda bringt rechtlich gesehen noch eine andere Ebene mit hinein. Das Rechtssystem bezog sich bis jetzt nur auf die Erdlinge und die Ninurianer*innen. Florimonda ist aber ein „sui generis“ – also von ihrer eigenen Art. Sie steht also außen vor bzw. für sich.

Welche Relevanz haben juristische Regelungen in diesem Fall überhaupt noch?

Das ist eine interessante Frage. König Krax ist ja letztlich auch ein „Dei gratia“, also ein König von Gottes Gnaden. Aber Florimonda kann Leben geben und steht damit ganz klar über ihm und auch allen anderen.

Florimonda gibt Lunatick das Leben zurück. Megapfiffikuss bekommt seine gerechte Strafe – zumindest aus moralischer Perspektive. Und während König Krax sich dazu entscheidet, auf Planet 9 zu bleiben, fliegen Lunatick und Quyokuma zur Erde, um dort Verantwortung zu übernehmen.

Was rechtlich ihre Pflicht ist, als Nachfolgerin ihres Vaters. Wenn er nicht mehr möchte, muss sie einspringen. Mit großer Macht kommt große Verantwortung – und um die unterschwellige Frage vorwegzunehmen: Nein, das ist nicht fair. Aber ich habe in meinem eigenen Leben auch schon einige Prinzessinnen gehört, die gesagt haben: „Prinzessin sein? Nein, danke!“ Und dann eben erfolgreich ihren eigenen Weg gesucht und gefunden haben.

Ich bedanke mich für das Interview, Space-Lawyer Franz Schilling!

Mit Vergnügen. Ich beantworte auch gern zukünftig weitere juristische Fragen auf dem Opernhausblog. Und nun: Beam me up!

Titelbild: Space Lawyer und Bariton der Jungen Oper Dortmund Franz Schilling © Dramaturgie

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