7 Dinge über „Das Rheingold“, die Sie (vielleicht) noch nicht wussten …

7 Dinge über „Das Rheingold“, die Sie (vielleicht) noch nicht wussten …

Am Donnerstag, 09. Mai 2024 geht der neue Dortmunder Ring-Zyklus mit der Premiere von Richard Wagners Das Rheingold, inszeniert von Regisseur Peter Konwitschny, in seine nächste Runde. Grund genug, sich 7 Hintergründe zu Form, Inhalt und Werkgeschichte vor Augen zu führen, die dem Opernpublikum (vielleicht) noch nicht bekannt sind …

1. Weia! Waga! Was?

Die Rheintöchter necken Alberich (1910). © Arthur Reckham

Richard Wagner, Komponist und Librettist in Personalunion, hat in seinem Textbuch zum Ring des Nibelungen zahlreiche Wörter untergebracht, die heute kaum noch verstanden werden können, da sie in unserem normalen Sprachgebrauch seit langem ausgestorben sind – so gleich in der allerersten Szene von Das Rheingold: „Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wagalaweia! Wallala weiala weia!“ – Was bitte!? Bereits der vielbespöttelte Beginn von Das Rheingold – ein „bombastisches Alliterationsgestotter“, wie Eduard Hanslick einmal abschätzig urteilte – hat es sprachlich in sich, jedoch verbirgt sich hinter diesem (zumindest aus heutiger Sicht) vermeintlichen Kauderwelsch eine inhaltlich wohlüberlegte künstlerische Konzeption Wagners:

Abgeleitet von „wägen“ bzw. „bewegen“, bedeutete „Wag“ ursprünglich so viel wie die bloße Bewegung. Nach Dr. Frank Piontek hat sich bereits im althochdeutschen „wâg“ (mittelhochdeutsch „wâc“) die Bedeutung hin zu „bewegtem Wasser“ verschoben, aus dem auch unsere heute noch im modernen Sprachgebrauch anzutreffende „Woge“ entsprang. In den oberdeutschen Mundarten bezeichnete „Wag“ sogar ganz konkret einen Fluss. Nichts anderes ist demnach gemeint, wenn die drei Rheintöchter am Beginn von Wagners Oper das schimmernde Gold in den Wogen des Flusses besingen: „Glühender Glanz entgleißt dir weihlich im Wag!“. Das Wort „weihlich“ wiederum erfüllt an dieser Stelle gleich einen doppelten Sinn: verbunden mit der bekannten „Weihe“ und dem „Wehen“. Denn Wagners „Weia“ – eine Befehlsform – leitet sich von ebenjenem „wehen“ ab, dessen Ursprung im gotischen „weian“ und mittelhochdeutschen „waejen“ (bzw. „weihen“) liegt, sodass die Worte der Rheintöchter leicht als „Wehe! Fluss!“ – oder ein wenig moderner: „Beweg dich, Wasser!“ – übersetzt werden können. Doch sei’s drum! Denn auch wenn es heute ein wenig antiquiert anmuten mag: Schöner zu Singen ist Wagners wonniges Wortgewebe allemal.

2. Von Tolkien tollkühn überwagnert

Fantasy-Autor J. R. R. Tolkien © Bill Potter

In Wagners Rheingold raubt der Nibelung Alberich das von den Rheintöchtern gehütete Gold und schmiedet daraus einen Ring, der ihm grenzenlose Macht verleiht. Als Göttervater Wotan das Schmuckstück von Alberich listenreich entwendet, belegt dieser den Ring mit einem Fluch: „… verflucht sei dieser Ring! Gab sein Gold mir Macht ohne Mass, nun zeugʼ sein Zauber Tod dem, der ihn trägt! (…) Wer ihn besitzt, den sehre die Sorge, und wer ihn nicht hat, den nage der Neid! Jeder giere nach seinem Gut, doch keiner geniesse mit Nutzen sein! Ohne Wucher Hut ihn sein Herr, (…) des Ringes Herr als des Ringes Knecht: bis in meiner Hand den geraubten wieder ich halte! So segnet in höchster Not der Nibelung seinen Ring! Behalt ihn nun, hüte ihn wohl, meinen Fluch fliehest du nicht!“ Aha.

Was bei Wagner noch verhältnismäßig ausufernd daherkommt, kennt der Leser einschlägiger Fantasy-Literatur oder Besucher moderner Kino-Blockbuster weitaus konziser: „Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden.“ Diese Formel stammt bekanntermaßen aus John Ronald Reuel Tolkiens erstmals 1954/55 veröffentlichtem – und von 2001 bis 2003 von Regisseur Peter Jackson als Film-Trilogie auf die Kinoleinwand gebanntem – Fantasy-Roman Der Herr der Ringe. Auch darin findet sich ein verfluchter Ring wieder, geschmiedet von einem sinisteren Schurken, der damit die Welt beherrschen möchte. Ebenso sind in Tolkiens Fantasy-Welt (dem sogenannten Reich Mittelerde) viele weitere Parallelen zur germanischen Sagenwelt auszumachen, die sich auch in Wagners Opern-Zyklus finden lassen: So wird Mittelerde unter anderem von Zwergen, Drachen und insbesondere von Elben bewohnt; einem allen anderen Wesen Mittelerdes überlegenen Volk, dessen Aussehen – hochgewachsen, blond und blauäugig – dem „arischen Typus“ entspricht (was Tolkien wiederholt die Kritik einer „Verherrlichung nationalsozialistischer Ideale“ eingetragen hat, gegen die sich der Autor jedoch stets zur Wehr setzte). Doch muten derlei oberflächliche Parallelen zwischen Tolkiens und Wagners Fantasiewelten eher wie Petitessen an, wenn man sich vor Augen führt, mit welcher literaturwissenschaftlichen Akribie der eine (Tolkien) und mit welcher künstlerischen Freiheit der andere (Wagner) beim Verfassen des jeweils eigenen „Opus magnum“ zu Werke ging: 

Als Autor fantastischer Belletristik in die Geschichte eingegangen, war Tolkien als Oxford-Professor für alte Sprachen zeit seines Lebens vor allem eines: ein Philologe vom reinsten Wasser, der versessen darauf war, alte Textquellen zu studieren, die er als „Sprachdenkmäler“ bezeichnete. Als Tolkien 1973 starb, hinterließ er der Nachwelt unzählige Schmierzettel mit oft nur vagen Notizen und darüber hinaus eine ganze Reihe undatierter Manuskripte – darunter, unter dem Titel Die Legende von Sigurd und Gudrún, eine eigene Fassung des Nibelungenlieds. Der Hintergrund: Wohl irgendwann in den 1930er-Jahren hatte sich Tolkien in intensiven philologischen Studien mit der mittelalterlichen Nibelungensage auseinandergesetzt – bekanntlich ebenso eine der primären Inspirationsquellen Wagners beim Verfassen seiner Ring-Tetralogie. Hierbei setzte sich Tolkien derart tiefgehend mit der erhaltenen Quellenlage auseinander, dass die Londoner Times angesichts der posthumen Wiederentdeckung des Manuskripts anerkennend titelte „Tolkien überwagnert Wagner“. Aber (sprach)geschichtliche Korrektheit stellte für Wagner beim Verfassen seines Ringes – bei dem er sich, neben dem Nibelungenlied, maßgeblich auch von zahlreichen weiteren europäischen Sagen- und Märchentopoi inspirieren ließ – ja ohnehin nicht die oberste Prämisse dar; frei nach dem Motto: Hier giltʼs der Kunst!

3. Reeller Goldrausch

Die Gewinnung von Rheingold bei Karlsruhe (um 1825).

„Leuchtende Lust“ und „glühender Glanz“ – mit diesen frenetischen Worten besingen die drei Rheintöchter Woglinde, Wellgunde und Flosshilde gleich zu Beginn der ersten Szene von Wagners Rheingold das titelgebende Edelmetall, das sie in den Wogen des Flusses hüten. Doch was hat es im wahren Leben – jenseits des Wagnerschen Musik-Kosmos – eigentlich mit diesem sagenumwobenen „Rohstoff, aus dem die kühnsten Opernträume sind“ auf sich? Tatsächlich wurde der größte Teil des heute in den Sedimenten des Rheins vorkommenden Goldes bereits während der Eiszeit im Rheintal abgelagert. Schon die Kelten wuschen Gold aus dem Gewässer, später dann die Römer und ebenso die Germanen.

Seinen Höhepunkt erreichte das Goldwaschen am Rhein während der Arbeiten zur Rheinbegradigung in den Jahren von 1817 bis 1866: So wurden etwa 1831 in Baden 13 und in der bayerischen Pfalz 5 Kilogramm Gold aus dem Rhein gewaschen – allein im Großherzogtum Baden von über 400 registrierten Goldwäschern. Doch mit dem Abschluss der Regulierungsarbeiten am Rhein kam auch die Goldwäscherei zunehmend zum Erliegen: 1860 wurden in Bayern gerade noch 56 Gramm und 1874 in Baden 90 Gramm aus dem Rhein gewonnen. Und der letzte rheinische Golddukaten – traditionell mit Umschriften wie EX AURO RHENI („aus dem Gold des Rheins“) oder SIC FULGENT LITTORA RHENI („so glänzen die Ufer des Rheins“) versehen – wurde im Jahr 1863 geprägt.

Heutzutage ist die Gewinnung von natürlichem Rheingold, trotz des enormen technischen Fortschritts, äußerst anspruchsvoll und erfordert vom Goldwäscher vor allem eines – Geduld! Dies liegt maßgeblich an der sehr geringen Größe der fast schon puderartigen Rheingold-Flitterchen, die im Durchschnitt über ein Gewicht von gerade einmal 0,006 Milligramm je Flitterteilchen verfügen. Hierdurch würde man rund 165.000 Partikel benötigen, um ein einziges Gramm des begehrten Edelmetalls zu gewinnen – was für den modernen Goldwäscher weniger „leuchtende Lust“ als vielmehr „fiesen Frust“ bedeutet.

4. Quelle der Inspiration

Elfriede Jelinek (2004) © wikisource

Zweifellos hat Wagners Musiktheater zahlreiche Werke anderer Kunstschaffender maßgeblich beeinflusst – und das auch weit über die Opernbühne hinaus. Eines davon, Rein Gold: Ein Bühnenessay (Eigenschreibweise rein GOLD), ist ein Prosawerk der österreichischen Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek aus dem Jahr 2012. Mit dem Titel rein GOLD spielt die Autorin überdeutlich auf Richard Wagners Oper Das Rheingold an. Gleichzeitig stellt sie mit dem darin ausgestalteten Dialog zwischen „B: Brünnhilde“ und „W: Wotan, der Wanderer“ einen Bezug zum großen Dialog zwischen Brünnhilde und Wotan am Ende von Die Walküre her.

Jelineks rein GOLD besteht aus großen Sprachflächen im Stile eines fortlaufenden Bewusstseinsstroms, der beim Rezipienten freie Assoziationen wachrufen soll und dabei, in einem literarischen Transformationsprozess, den Sog von Wagners Musik in die Struktur eines Lesetextes überführt. Bei Wagner wird Brünnhilde in genannter Szene durch Wotan bestraft, bei Jelinek dient der Dialog als intertextuelle Folie für einen von der Autorin ausgeführten Diskurs über den „Albtraum der Endzeitvision des kapitalistischen Zeitalters“ (Susanne Vill), ausgelöst durch die Gier nach Reichtum (Gold) und Macht. Damit stellt sich Jelinek in die lange Interpretationslinie, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, allen voran zu George Bernard Shaw, zurückreicht und die Wagners Ring vornehmlich aus einer kapitalismuskritischen Perspektive heraus deutet – ausgehend von Wotans auf Verträgen und Schuld fußendem Machtkonstrukt in Das Rheingold.

5. Knackiger Vorabend

Karikatur „Ein Abend in der Oper“ © Don Tobin

Richard Wagners Bühnenwerke sind lang – „wunderbar lang“, jauchzen die glühenden Verehrer, „entsetzlich lang“, stöhnen die unversöhnlichen Kritiker. Dem Komponisten Gioachino Rossini hat die Nachwelt gar das vielzitierte Bonmot in den Mund gelegt „Wagner hat reizende Momente, aber schreckliche Viertelstunden“. Manch einer kann sich gar nicht erst dazu durchringen, die rund 16 Stunden Gesamtspieldauer des Ringes in Angriff zu nehmen. Dabei bietet gerade Das Rheingold – als einaktiger „Vorabend“ zum mehrteiligen Ring des Nibelungen, bestehend aus Die Walküre, Siegfried und Götterdämmerung – einen idealen und (zumindest an den Maßstäben einer Wagneroper gemessen) „kurzweiligen“ Einstieg in den Ring-Kosmos. Doch auch dessen Spieldauer kann zuweilen von Aufführung zu Aufführung (oder besser: von Dirigat zu Dirigat) erheblich differieren …

Bereits früh wurde es bei den Bayreuther Festspielen fester Usus, die Länge der einzelnen Aufzüge der gespielten Opern zu dokumentieren. In Anbetracht der traditionell unterbrechungsfreien Aufführungen des Rheingolds (der Einakter wird üblicherweise in einem Durchgang ohne Pause durchgespielt) ist die Dokumentation der Spieldauern bei diesem Werk besonders anschaulich: In den Jahren von 1876 bis 1970 dauerte die kürzeste Aufführung von Das Rheingold auf dem Grünen Hügel, unter dem Dirigat von Heinz Tietjen im Jahr 1939, exakt 2:08 Std., derweil die längste, unter Hans Knappertsbusch anno 1951, eine Dauer von 2:42 Std. aufwies – ein Unterschied von einer satten halben Stunde. Theoretisch ausreichend Zeit für einen erquicklichen Pausensekt auf dem Grünen Hügel mit einer fränkischen Bratwurst und gutem Bayreuther Senf … – aber wer würde schon den Wagnerschen Kunstgenuss einem derart schnöden kulinarischen Genuss opfern wollen?

6. Rückwärts zum Raub

Alberich raubt das Rheingold (1876).

Ursprünglich sollte der Titel des Werks Der Raub des Rheingoldes lauten. Doch wie kam es schlussendlich zur Umbenennung in Das Rheingold …?  Eigentlich wollte Wagner lediglich das Schlusskapitel der Siegfriedsage aus dem berühmten Nibelungenlied unter dem Titel Siegfrieds Tod musikdramatisch bearbeiten. Nachdem er das Textbuch zu Siegfrieds Tod im November 1848 vollendet hatte und mit der Vertonung desselben beginnen wollte, erkannte er aber, dass zu viel Vorgeschichte fehlte. Er stellte seinem Textbuch die Erzählung der Nornen voran (dieser erste verschriftlichte Teil der Ring-Tetralogie wurde später von Wagner in Götterdämmerung umbenannt) – doch blieb er auch mit diesem Ergebnis weiterhin unzufrieden. Daraufhin schrieb er als Ergänzung Der junge Siegfried (später nur Siegfried genannt). Weil aber immer noch ein großer Teil der Fabel fehlte, schrieb Wagner schließlich – sich weiter rückwärts „vorarbeitend“ – Der Raub des Rheingoldes und zuletzt Die Walküre. Beim Auskomponieren des so entstandenen Textes zu Der Ring des Nibelungen folgte Wagner dann wieder der Handlungschronologie der vier Teile, beginnend mit Der Raub des Rheingoldes, das schließlich von ihm in Das Rheingold umbenannt wurde – der eigentliche Raub desselben viel damit, zumindest was den Titel des Werkes anbelangt, unter den Tisch …

7. In dubio pro reo?

Justitia kennt keine Ruhʼ. © Jan Tomaschoff

Apropos Raub: In dem Band Richard Wagners „Ring der Nibelungen“ im Lichte des deutschen Strafrechts zieht der (fiktive) Jurist Ernst von Pidde hinsichtlich der in Wagners Ring geschilderten Vorgänge eine erschütternde Bilanz: Ausgehend vom Raub des Rheingolds in der ersten Szene der Tetralogie, präsentieren sich diese nämlich als ein Konglomerat von Verbrechen schwersten Kalibers. Ob Mord oder Totschlag, Verschleppung oder Diebstahl, Brandstiftung oder Tierquälerei, Wagners Götter, Helden und Riesen lassen keine Schandtat aus, sodass in einem ordentlichen Strafprozess kaum einer der Ring-Akteure ungeschoren davonkäme. Nach Pridde jedenfalls drohten dem Nibelungen-Personal für seine orchestral aufgeputzten Strafetatbestände mindestens fünfmal lebenslänglich und 64 Jahre Haft. Doch welcher Opernfreund würde diese Bande von Verbrechern nicht gerne mit seinem tosenden Beifall freisprechen wollen?

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