Reisend bin ich um nicht zu ruhn, was anderes zu…
Komponistin Kathrin A. Denner im Gespräch
Nach der mobilen Kinderoper RIESEN RIESELN in der vergangenen Spielzeit komponiert Composer in Residence Kathrin A. Denner aktuell für das Ensemble der Jungen Oper Dortmund ihre nächste Oper Instame, ein Stück speziell für Jugendliche. Mit uns spricht sie über ihren Werdegang, ihre Musik sowie ihre Arbeit als Komponistin.
Liebe Kathrin, wie hast du anfänglich zur „klassischen Musik“ – und später dann zum Komponieren als Beruf – gefunden?
Die Entwicklung meiner Affinität zur „klassischen Musik“ und zum Komponieren war ein kontinuierlicher Prozess, der von einer tiefen künstlerischen Neugierde und einer leidenschaftlichen Hingabe an musikalische Ausdrucksformen geprägt war. Als Kind hatte ich das Glück, schon früh und regelmäßig mit der klassischen Musik in Berührung zu kommen. Meine Familie und ich hörten sehr oft klassische Musik zusammen und wir nahmen uns die Zeit, sie zu besprechen und historisch einzuordnen. Diese gemeinsamen Erfahrungen haben mich nachhaltig geprägt und eine tiefe Verbindung und Liebe zur klassischen Musik in mir geweckt. Als Kind saß ich auch oft mit meinen Freundinnen auf der Kirchenmauer und wir hörten den Glocken zu. Erst als Erwachsene konnte ich einordnen, dass wir eigentlich Obertöne zu hören versucht haben. Zuhause saß ich stundenlang am Klavier, improvisierte und spielte auf dem Klavier und der Trompete viele eigene Stücke – nur nicht das, was ich üben sollte. Später wurde mein persönlicher Zugang durch intensive Studien von Kompositionstechniken, Musikgeschichte, Ästhetik, Theorie und Praxis bereichert.
Denkst du beim Komponieren für junges Publikum dessen besondere Hör(vor)erfahrungen oder Erwartungen mit?
Ja und nein. Beim Komponieren für ein junges Publikum denke ich in gewisser Weise über deren Hörerfahrungen und Hörerwartungen nach. Allerdings schreibe ich eine Oper; ein Genre, das den meisten Jugendlichen möglicherweise nicht sehr vertraut ist. Zudem handelt es sich um eine zeitgenössische Oper, mit der sie wahrscheinlich noch weniger Erfahrung haben. In diesem Kontext frage ich mich, ob es notwendig ist, mich auf Vertrautes zu stützen, wenn extra ein Raum geschaffen wurde, um Neues zu erfahren und zu erleben. Muss ich musikalische Referenzen berücksichtigen, wenn die Zuhörer ohnehin täglich damit konfrontiert werden? Mein Ansatz besteht darin, diesen Raum zu nutzen, um neue musikalische Erfahrungen zu ermöglichen und das Publikum mit einer Sprache anzusprechen, die möglicherweise noch unbekannt ist.
Macht es einen Unterschied, ob du (wie bei RIESEN RIESELN) für Kleinkinder oder ob du (wie bei Instame) für Jugendliche komponierst?
Bei RIESEN RIESELN, das sich an Kleinkinder richtet, habe ich mit Julia Dina Hesse ein Musiktheaterstück geschaffen, dass sich im Spannungsfeld zwischen groß und klein, laut und leise, schnell und langsam bewegt. Dabei gibt es keine durchlaufende Handlung, sondern viele verschiedenen Szenen, in denen Größenverhältnisse auf den Kopf gestellt werden. Es ist ein großer, interaktiver Teil integriert, bei dem die Kinder an verschiedenen Geräuschemachern selbst mitwirken können. Beim Komponieren für Jugendliche hingegen kann eine erweiterte harmonische Sprache und rhythmische Komplexität eingesetzt werden. Der Unterschied beim Komponieren für Kleinkinder (wie bei RIESEN RIESELN) im Vergleich zum Komponieren für Jugendliche (wie bei Instame) liegt in der spezifischen thematischen Ausrichtung des Stücks, das bei einem Jugendstück gezielt auf die Interessen und Erfahrungen der jungen Zielgruppe eingehen kann. Der Dialog mit dem Publikum in verschiedenen Altersgruppen erfordert einen differenzierten Kompositionsansatz, um den spezifischen Bedürfnissen und Erfahrungen der Zuhörer gerecht zu werden.
Wie würdest du deine eigene Musik beschreiben? Gibt es irgendwelche Elemente, die deine Musik für dich ganz besonders auszeichnen? Oder heißt es beim Schreiben für dich eher immer wieder aufʼs Neue: „Weißes Blatt, zurück auf Null“?
Die eigene Musik zu beschreiben ist nicht so leicht, wie die anderer Komponist*innen. Man hat eigene Vorlieben und Präferenzen, die so subjektiv und vertraut sind, dass man sie nicht gut mit Abstand betrachten kann. Meine eigene Musik kann als facettenreich und explorativ beschrieben werden. Ich liebe die konzentrierte Aktion des Materials, die Entscheidung für eine Form/Gestik/Materialsammlung und die konzentrierte Verarbeitung, das Bei-sich-bleiben des Materials und seine gleichzeitig bunteste Ausschmückung/Verarbeitung. Wie sehr kann ich ein Material verändern, damit es dann trotzdem noch als das Ausgangsmaterial zu erkennen ist, wie kann ich Materialien/Gesten verknüpfen und biegen und wann sind sie zu sensibel und fragil? Wie wird aus einem einfachen Material und dessen Gestaltung eine existentielle Wahrnehmung? In manchen Kompositionen bleibe ich unbeirrbar radikal und konsequent bei einem einzelnen Material. Bei anderen sind es die ineinandergreifenden Materialien, die mich interessieren. Dort entstehen „Organische Wucherungen“, Elemente, die einander bedingen und miteinander korrelieren, die sich auseinanderentwickeln und aufeinander beziehen. Und meistens beziehen sich auch die neuen Stücke auf die alten und „wuchern“ quasi dort hinein. Gewebe, vernetzt in unterschiedlichen Wachstumsformen und Verläufen. Ausdruckskraft besitzen klar gesetzte Materialien, differenzierte Strukturen – sich komprimierend und wieder ausdehnend – und große dynamische Kontraste. Wildwuchs. Und doch ist am Anfang immer das weiße Blatt. Und es ist gut, dass es das weiße Blatt gibt, denn auch wenn es schwer ist, bietet es Platz zum Sortieren, zum Ideen sammeln, für Kreativität.
Instame ist deine zweite Arbeit für die Junge Oper Dortmund. Worum geht es in dem Stück?
Sandra Lu Wanda Marie und Lina Lexi Lara Rey sind (quasi immer) online. Dort sind sie Zuhause, in ihrer Comfort Zone. Doch plötzlich schwappt die Reality in das Leben der Insta-Girls in Form eines ertinderten Batmans. Die Konfrontation mit dem echten Leben ist für die zwei Influencerinnen too much. Das System ist überlastet und stürzt ab.
Welchen Einfluss wird das Sujet von Instame auf den Klang deiner Musik haben?
Das Thema schreit nach Pop, denn angesichts der Umgebung, in der sich das Stück abspielt, geprägt von Influencer:innen, Streaming und Jugendsprache, scheint das Thema förmlich nach Popmusik zu verlangen. Oper im weitesten Sinne wird selten mit dieser Welt in Verbindung gebracht. Hat das einen Einfluss: Ja, es macht es mir einfach schwerer. Denn ich bin keine Popkomponistin. Ich muss also den schmalen Grat gehen und einen Weg finden, das Thema und meine Art des Komponierens in Einklang zu bringen.
Was wünschst du dir, wie das Publikum auf eine Musik reagiert? Was soll es von dieser mit nachhause nehmen?
Ich wünsche mir, dass das Publikum auf meine Musik mit Offenheit und Neugier reagiert. Und erheitert, ein klein wenig nachdenkend, mit einem erweiterten Bewusstsein und einem kritischen Blick auf die virtuelle Welt nach Hause geht.